Seit einigen Wochen geben russische Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine Anlass zu großer Sorge. Soziale Medien zeigen Bilder von bisweilen endlosen Militärkonvois, die unweigerlich die Frage aufwerfen: Droht ein neuer Krieg im Osten Europas? Oder ist es nicht mehr als das übliche Säbelrasseln?

Am Dienstag hat US-Präsident Joe Biden die Öffentlichkeit mit dem Hinweis überrascht, er habe den russischen Präsidenten telefonisch kontaktiert und einen Gipfel in einem Drittland vorgeschlagen. Ob der starke Mann in Moskau auf das Angebot überhaupt eingeht, ist völlig offen. Abgesehen davon: Wie  stehen die Chancen, dass sich Joe Biden und Wladimir Putin in Wien treffen? Wo doch der Kanzler exzellente Kontakte zum Kreml unterhält? 

Biden und Putin: Archivfoto aus dem Jahr 2011, als Joe Biden noch US-Vizepräsident war
Biden und Putin: Archivfoto aus dem Jahr 2011, als Joe Biden noch US-Vizepräsident war © AP

"Die Entscheidung, ob, wann und wo ein Gipfeltreffen stattfindet, obliegt den beteiligten zwei Seiten“, heißt es dazu im Außenministerium. „Österreich steht den Teilnehmern von Gesprächen auf allerhöchster Ebene stets sehr gerne Verfügung.

In der Zeit des Kalten Krieges war das neutrale Wien ein beliebter Konferenzort. Vier Monate nach seinem Amtsantritt traf US-Präsident John F. Kennedy erstmals mit dem russischen KP-Chef Nikita Chruschtschowin Wien zusammen.

John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow in Wien
John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow in Wien © AP

1973 begann der Bau der UNO-City. 1979 unterzeichneten US-Präsident Jimmy Carter und KP-Chef Leonid Breschnjew den Salt 2-Abrüstungsvertrag in der Hofburg. Dass die OSZE ihre Zelte in Wien aufschlug, ist der heute oft belächelten Neutralität zu verdanken.

Mit dem Fall der Mauer endete die Vorrangstellung. In den 1990er-Jahren trafen sich der amerikanische und der russische Präsident 23 Mal (!), allerdings kein einziges Mal in Wien. Zwei Treffen waren besonders bitter, weil sie unmittelbar vor der Haustüre stattfanden: US-Präsident Georg Bush und Putin lernten sich im slowenischen Brdo kennen, 2005 sah man sich in Bratislava, die Slowakei war damals bereits Nato-Mitglied.

Dass die Bundeshauptstadt zuletzt wieder als Treffpunkt hochkarätiger, diplomatischer Verhandlungen reaktiviert wurde, liegt an Sebastian Kurz. Dem damaligen Außenminister war 2014 das Kunststück gelungen, die Iran-Gespräche nach Wien zu holen. Ursprünglich sollte das Ringen um einen Atomdeal in Genf über die Bühne gehen, dann wurden die Verhandlungsrunden nach Wien verlagert. Der damalige US-Außenminister John Kerry weilte damals mehrere Wochen in der Bundeshauptstadt, Fotos von Kerrys Spaziergängen im Prater wie auch am Karlsplatz gingen damals um die Welt. 

John Kerry vor dem Palais Coburg
John Kerry vor dem Palais Coburg © AP

Auf Betreiben von Kurz verhandelten die USA, Russland, China, Frankreich, Grossbritannien, Deutschland und der Iran nicht in der UNO-City, sondern auf österreichischem Boden im Palais Coburg. Die Hoffnung, dass das historische Abkommen in der Hofburg in Wien unterzeichnet wird, erfüllte sich nicht - zu diesem Zweck hatte die Republik die Räumlichkeiten über Wochen reserviert. Die  feierliche Unterzeichnung fand im Sommer 2015 in der UNO-City statt. 

Und noch immer gibt es unterschiedliche Lesarten, warum 2018 der Gipfel zwischen Donald Trump und Putin nicht in Wien, sondern in Helsinki abgehalten wurde. Damals hatte der Secret Service bereits ein Erkundungsteam nach Österreich geschickt. In seinem Enthüllungsbuch „The Room Where It happened“ schreibt Trumps ehemaliger Sicherheitsberater John Bolton, Putin und Trump seien sich einig gewesen, Spitzenmitarbeiter des US-Präsidenten hätten sich allerdings gegen Wien quergelegt. US-Diplomaten erklären heute, es seien die Russen gewesen, die im letzten Moment Wien als Standort torpediert hätten.

Gute Russland-Connection

Dass mit den Iran-Verhandlungen Wien als Konferenzort wieder an Renommee gewonnen hat und der Kanzler enge Kontakte zu Putin (nicht nur wegen Sputnik) unterhält, steigert die Chancen. Zu Biden sind die Beziehungen zwar nicht so eng, gegen einen Gipfel in Helsinki spricht, dass Biden den Russen nicht dort treffen will, wo Letzterer Trump über den Tisch gezogen hatte.

Aus einem Grund hat Wien ganz aktuell allerdings sehr schlechte Karten. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass beide Präsidenten einen Gipfel in einem Land abhalten wollen, das sich gerade im Lockdown befindet“, sagt uns ein Diplomat. Es würde zwar Hotelzimmer im Überfluss geben, der Tross würde ein- zweitausend Mitarbeiter, Diplomaten, Bodyguards, Sicherheitsleute umfassen, die aber mit Ausgangssperren und geschlossenen Restaurants konfrontiert wären.

Hervorragendes diplomatisches Parkett

Wien als Sitz der Vereinten Nationen, der OSZE, der Atomorganisation IAEA, der OPEC, mit dem Konferenzzentrum in unmittelbarer Nähe des Vienna International Center (UNO-City) sowie mit dem Messegelände im Prater - das sind beste Voraussetzungen, um die große Welt in die Stadt zu holen.

Schon 1815 war Wien mehr als sechs Monate lang Wohnort mehrerer Staatsoberhäupter, Könige, Diplomaten und Delegationen. Während des Wiener Kongresses stellten die damaligen Großmächte die europäische Ordnung wieder her.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich Österreich aber regelrecht zum Brückenbauer, nicht zuletzt zwischen Ost und West.

Die jahrhundertelange historische Verbindung Österreichs mit dem Balkan lässt es zu, dass Österreich bis heute glaubwürdig eine Brückenbaufunktion erfüllt.

Wien und Salzburg waren die Hauptaustragungsorte für historische Konferenzen, Gipfel und Treffen in Österreich.

Als glattes Parkett stellte sich Salzburg für US-Präsident Gerald Ford heraus, der Anfang Juni 1975 an der Salzach mit dem ägyptischen Präsidenten Anwar al-Sadat zu einem Gipfeltreffen zusammentraf. Der US-Präsident stürzte beim Verlassen des Flugzeugs spektakulär die Gangway hinunter. Politisch war der Gipfel ein Erfolg, führte er doch zu einer ersten Annäherung zwischen Ägypten und Israel, das acht Jahre zuvor die Sinaihalbinsel besetzt hatte.

Gerald Ford stolperte in Salzburg
Gerald Ford stolperte in Salzburg © AP

Das freundschaftliche Verhältnis von Sadat und Kreisky sollte Salzburg noch mehrere hochkarätige Nahost-Treffen bescheren. Im Februar 1978 konferierte der ägyptische Präsident mit dem israelischen Oppositionsführer Shimon Peres in der Mozartstadt, im Juli traf er dort während einer einwöchigen Sommerfrische überraschend den israelischen Verteidigungsminister Ezer Weizmann. Sadat lobte seine Salzburger Gespräche als "gutes Omen" für die Verhandlungen mit Israel. Zwei Monate später schlossen die beiden Staaten mit dem "Camp-David-Abkommen" Frieden.

Die Festspiele waren für viele Politiker ein willkommener Anlass, in die Mozartstadt zu kommen. Nicht alle waren bei ihrem Wunsch nach höchstem Kunstgenuss aber so kompromisslos wie UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar. Im August 1984 zog er einen Festspielbesuch der Eröffnung der UNO-Weltbevölkerungskonferenz in Mexiko-Stadt vor und sorgte damit für ziemliche Aufregung in New York und Mexiko.

1990 halfen die Salzburger Festspiele Bundespräsidenten Kurt Waldheim aus der Isolation, als er zum 70-jährigen Jubiläum des schönsten Musikfestivals der Welt seine Amtskollegen aus Deutschland, Richard von Weizsäcker,  und der Tschechoslowakei, Vaclav Havel, in Salzburg begrüßen konnte. Waldheim war nach seiner Wahl 1986 wegen seiner Nazi-Vergangenheit von westlichen Politikern gemieden worden.

Unter Waldheims Nachfolger, Bundespräsident Thomas Klestil, gab es 1993 einer Neuauflage des Präsidententreffens. Klestil begründete damit die Tradition jährlicher Treffen mitteleuropäischer Präsidenten in Salzburg.