Der Gesundheitszustand des in einem Straflager inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny hat sich nach Angaben seiner Anwältin weiter verschlechtert. Er verliere nun auch das Gefühl in seinen Händen, sagte Olga Michailowa am Mittwoch dem unabhängigen Internetfernsehsender Doschd. Zuvor hatte der Oppositionelle bereits über starke Rückenschmerzen und Lähmungserscheinungen in einem Bein sowie Husten geklagt. Die US-Regierung zeigte sich am Mittwoch "beunruhigt".

Nawalny, der sich seit einer Woche aus Protest gegen seine Haftbedingungen in einem Hungerstreik befindet, wiege derzeit etwa 80 Kilogramm, erklärte seine Anwältin. Bei seiner Ankunft in der Strafkolonie habe der 189 Zentimeter große Kreml-Kritiker noch 93 Kilogramm gewogen.

Im Hungerstreik

Bei einer MRT-Untersuchung seien zudem zwei Hernien diagnostiziert worden - also ein sogenannter Bauchwandbruch. "Er ist natürlich erschöpft, weil er seinen Hungerstreik fortsetzt und nur Wasser trinkt", sagte Michailowa. Sein Fieber ist demnach aber gesunken - von 39 Grad am Montag auf nun 37,2 Grad. Nawalnys anderer Anwalt Wadim Kobsew schrieb auf Twitter: "Alexej geht allein, hat Schmerzen beim Gehen." Er verliere jeden Tag ein Kilogramm Körpergewicht. "Was die Verwaltung des Straflagers derzeit macht, ist lediglich, ihn vom Hungerstreik abzubringen."

Der 44-Jährige ist seinen Anwälten zufolge noch immer in einer medizinischen Abteilung des Lagers. Nawalny hatte am Montag auf Instagram berichtet, dass drei seiner Mitgefangenen wegen Tuberkulose in ein Krankenhaus gebracht worden seien.

Kein Zugang zu Nawalny

Russische Ärzte hatten am Dienstag beim Straflager in Pokrow rund 100 Kilometer östlich von Moskau vergeblich Zugang zu Nawalny gefordert. Die Mediziner der unabhängigen Allianz der Ärzte forderten nun erneut ein Ende der Folter und die Freilassung Nawalnys, der im Sommer nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte. Er war im Februar in einem viel kritisierten Prozess zu einer mehrjährigen Straflager-Haft verurteilt worden.

Weltweite Sorge um Kremlgegner

Das Weiße Haus äußerte sich am Mittwoch "besorgt" über den verschlechterten Zustand des Oppositionellen. Washington betrachte die Inhaftierung Nawalnys als "politisch motiviert und als eine große Ungerechtigkeit", sagte die Sprecherin von Präsident Joe Biden, Jen Psaki. Das Auswärtige Amt in Berlin forderte die Freilassung des erkrankten russischen Oppositionellen. "Herr Nawalny ist jetzt widerrechtlich und im Widerspruch zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in einem Straflager inhaftiert", sagte ein Sprecher des Außenministeriums am Mittwoch in Berlin. "Unsere Erwartung ist ganz klar, dass Herr Nawalny freizulassen ist."

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte Nawalnys sofortige Freilassung. Seine Inhaftierung sei "willkürlich und politisch motiviert", erklärte der Amnesty-Generalsekretär in Deutschland, Markus N. Beeko, am Mittwoch in Berlin. "Die Haftbedingungen im Straflager und sein Gesundheitszustand sind sehr besorgniserregend." Die russischen Behörden müssten umgehend Ärzten, denen Nawalny vertraue, Zugang zu ihm ermöglichen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte bereits im Februar Nawalnys Freilassung gefordert, da er das Leben des Oppositionellen in Gefahr sah. Russland lehnte dies jedoch ab.

Überzogene Strafen

Nach mehr als zwei Monaten im Hausarrest setzte indes ein Gericht in Moskau überraschend den Bruder Nawalnys wieder auf freien Fuß. Oleg Nawalny, die prominente Juristin Ljubow Sobol und zwei weitere Mitarbeiter des Oppositionellen hatten vor der Berufungsinstanz am Mittwochabend Erfolg, wie ein Anwalt aus dem Saal des Stadtgerichts mitteilte. Ursprünglich hätten sie nach Straßenprotesten am 23. Jänner wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Hygieneauflagen in der Corona-Pandemie noch bis Ende Juni im Arrest sitzen müssen.

Die Strafen waren als völlig überzogen kritisiert worden. Umstritten war das Vorgehen der Justiz auch deshalb, weil etwa Kremlchef Wladimir Putin nie eine Maske trägt, wenn er mit Menschen zusammentrifft.

Die Prozesse gegen Mitarbeiter Nawalnys gelten als politisch motiviert, um die Opposition mundtot zu machen. Die Strafen waren gegen insgesamt zehn leitende Vertreter aus dem Umfeld des Putin-Gegners ergangen.