Siegessicher reckt er die Hände in die Luft, Konfetti fliegt um ihn herum. Offenbar ist Israels Premier Benjamin Netanjahu schon vor dem Wahltag zum Feiern zumute. In fetten Lettern steht auf dem Plakat das Motto seiner rechtskonservativen Partei Likud: "Wir kehren zurück ins Leben". Mit der erfolgreichen Impfaktion hat Netanjahu das nahezu erreicht,die Zahlen der Corona-Neuinfektionen sinken rapide, die Wirtschaft ist fast komplett geöffnet. Heute wird zum vierten Mal innerhalb von zwei Jahren ein neues Parlament gewählt – inmitten der Pandemie.


Durch die vorgezogenen Wahlen endet die Koalition aus dem Likud und der Zentrumspartei Blau-Weiß sowie den ultraorthodoxen Parteien, die durch den nationalen Notstand nach dem Corona-Ausbruch entstanden war. Auf einem stabilen Fundament hatte sie nie gestanden. "Wir befinden uns inmitten einer zweijährigen politischen Krise, der längsten in Israels Geschichte", resümiert der Präsident des Israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Dazu führte zum einen der unmittelbare Faktor, dass es "einen beliebten Premier gibt, der ernsthafte persönliche und juristische Probleme hat". Aus diesem Grund brauche Netanjahu eine Mehrheit von mindestens 61 Abgeordneten, die willens sind, trotz seiner Schwierigkeiten unter ihm zu dienen.

Schwächen des Wahlsystems

Zum anderen sei die Krise ein Spiegel der Schwächen des Wahlsystems: Das gesamte Land ist ein einziger Wahlbezirk, jede Partei, die die 3,25-Prozent-Hürde überschreitet, ist in der Knesset vertreten. "Im Vergleich zu anderen Demokratien führt dies zu einem zersplitterten Parteiensystem, in dem Koalitionen aus sechs bis sieben Partnern bestehen. Das verringert die Stabilität immens." Vor seiner Anklage wegen Korruption sei es für den Premier einfacher gewesen, eine Mehrheit zu bilden. Andererseits habe es auch kein Herausforderer geschafft, 61 oder mehr Mandate zu holen.


Daher sei dieses Mal die Beteiligung entscheidend, ist Plesner sicher. Eine Schlüsselgruppe sei die der israelischen Araber. "Generell war eine höhere Beteiligung ein Problem, denn die Araber stimmten historisch für den Anti-Netanjahu-Block." Doch das, sagt er, sei heute nicht mehr unbedingt so. Denn während der Premier noch im Vorjahr jene als Verräter bezeichnete, die auch nur in Erwägung zogen, mit arabischen Parteien zu koalieren, so buhlt er selbst in diesen Tagen um ihre Gunst.


Zudem ist die politische Landschaft komplexer geworden. Lange gab es eine Standard-Verteilung unter den rechten, ultraorthodoxen, Zentrum-Links und arabischen Parteien. Jetzt sind zwei Gruppierungen hinzugekommen: die rechten Parteien, die sich gegen Netanjahu aussprechen und die rechten, die sich nicht erklärt haben. "Die ursprüngliche Aufteilung ist also nicht mehr gültig. Stattdessen hat sich eine Pro- und eine Anti-Netanjahu-Achse ergeben." Beide Blöcke könnten je eine Mehrheit von 61 Mandaten erreichen, so Plesner. "Und das macht noch einmal deutlich, dass es darum geht, wie viele Israelis ihre Stimme abgeben."

Israel als Vorbild


Trotz der dysfunktionalen Koalition hatte Netanjahu mehrere Ziele erreicht: zum einen zerstörte er seinen einstigen Herausforderer und späteren Koalitionspartner Benny Gantz politisch so sehr, dass Blau-Weiß nicht einmal mehr die Eintrittshürde erreichen könnte. Zum anderen schaffte er es, eine einmalige Impfkampagne aus dem Boden zu stampfen. Die ist so erfolgreich, dass viele Länder den Staat als Vorbild sehen. Anfang März besuchte Kanzler Sebastian Kurz mit Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen Jerusalem. Sie vereinbarten eine vertiefte Zusammenarbeit bei Impfstoff-Forschung sowie Produktion und informierten sich über den "grünen Pass" für Geimpfte.


Egal, wie scharf die Kritik ausfällt, egal, wie viele Demonstranten auf die Straßen gehen, der 71-Jährige scheint alles abzuschütteln. Er sei schließlich der Einzige, der fähig sei, das Land zu führen, ließ er jüngst wissen. Über das Datum der Lockerungen wundern sich übrigens die Wenigsten. Der Coronaberater der Regierung, Nachman Ash, sagte, dass die umfassenden Öffnungen natürlich mit Politik zu tun hätten. "Ich bin doch nicht naiv."