Das Ritual um die Einführung eines neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gehört zum pompösesten und pathetischsten, was die Welt zu bieten hat. Immer wieder kamen in der fast 245-jährigen Geschichte der USA neue Elemente hinzu, die sich zu einer langen und prachtvollen Zeremonie formten, die praktisch einen ganzen Tag dauerten und an der in Washington in normalen Zeiten bis zu zwei Millionen Menschen teilhatten. Da passt die übliche Kälte Mitte Jänner sogar ein wenig zum Mythos der Amtseinführung: Wer das großartigste Land der Erde (so die Selbstzuschreibung schon lange vor Donald Trump) führen will, muss schon die große Kälte aushalten. Immerhin einmal – 1841 – gelang es einem Präsidenten nicht, dieser Kälte zu trotzen. Dabei lag damals die Übernahme des Amtes noch auf dem 4. März. Was ein Beleg dafür ist, wie lange es damals im Wilden Westen schon dauerte, die Ergebnisse aller Staaten in die Hauptstadt zu schaffen.

Das Parlamentsgebäude auf dem Capitol Hill mit seinen beiden Kammern ist dabei mehr als nur eine hollywoodreife Kulisse. Der künftige Präsident schwört vor dem Haus des Volkes, dass er die Verfassung wahren, schützen und verteidigen will. Wenn er denn regulär ins Amt kommt. Denn die Geschichte verzeichnet neun irreguläre Inaugurationen (von 67). Acht Mal starb ein Präsident im Amt und sein Vize musste umgehend und ohne üblichen Pomp den Eid schwören – übrigens der einzige Teil der Inszenierung, der in der Verfassung festgeschrieben ist.

Mitunter wurde dabei sogar improvisiert, wie 1963 nach der Erschießung von John F. Kenney in Dallas, als dessen Witwe Jackie dem Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson im Flugzeug die Bibel für den Eid hielt.

Oder die kuriose Amtseinführung 1923 nach dem plötzlichen Tod von Warren Harding nach einer Hirnblutung. Vize Calvin Coolidge weilte zu der Zeit auf dem Bauernhof seiner Familie im ländlichen Neuengland. Es fehlte an vielem in dieser Zeit, auf dem Hof aber vor allem an Strom und Telefon. Erst am nächsten Tag kam ein Bote mit der Nachricht geeilt. Der Vizepräsident soll sich frisch gemacht haben, ein Gebet gesprochen und im flackernden Licht der Wohnstube dem eigenen Vater den Eid vorgesprochen haben. Immerhin war dieser Notar des Staates Vermont. Doch es half nichts: Coolidge musste am Tag darauf in Washington vor dem Bundesrichter den Schwur wiederholen. Gut ein Jahr später, nach einer regulär gewonnenen Wahl, durfte auch Coolidge immerhin mit großem Pathos vor dem Kapitol seinen Eid leisten.

Antrittsrede

Der wichtigere Teil aber, auf den die Nation wartet, ist die Antrittsrede. Kennedy prägte 1961 den epochalen Satz: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann – frage, was du für dein Land tun kannst.

Und auch Barack Obama setzte mit seiner Ansprache 2009 einen neuen Ton in der Politik. „Wir versammeln uns heute hier, weil wir uns für Hoffnung anstelle von Angst entschieden haben“, sagte der erste afroamerikanische Präsident der USA. Manche sprachen angesichts der zwei Millionen Menschen auf der Fläche vor dem Kapitol von der „größten Feier der Geschichte“. Die Amerikaner nennen es eher pathetisch: Geschichte wird gemacht. Immerhin markiert der Amtseinführungstag üblicherweise den Höhepunkt einer viertägigen Feier. Zu der auch die Frage gehört, welcher Superstar denn vor dem Kapitol auftritt und die Hymne singt.

Corona und die radikalen Trump-Anhänger

In diesem Jahr ist allerdings alles anders. Einerseits weil Corona in den USA das Leben lähmt und Joe Biden sowie Kamala Harris als Zeichen für ihre neue Strategie im Kampf gegen die Pandemie auf die virtuelle Feier verweisen. Vor allem aber schwebt die Unsicherheit über dem Dienstag nach der Stürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger am 6. Jänner. Es wird so viele Sicherheitskräfte geben wie noch nie, und das, obwohl die Inauguration schon immer eines der bestgesicherten Ereignisse der Welt war. In dieser Hinsicht setzt also auch Bidens Amtseinführung einen neuen Maßstab.