Noch vor einem Jahr wurde Äthiopiens Premier für seine Rolle beim Frieden mit Eritrea mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Nun kommt es in dem ostafrikanischen Land seit Tagen zu den blutigsten Kämpfen. In der abtrünnigen Region Tigray hat Premier Abiy Ahmed die äthiopische Armee auf die Rebellen der regionalen „Volksbefreiungsfront von Tigray“ (TPLF) angesetzt.

Äthiopien ist seit 1993 Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Seit 1996 ist Österreich vor Ort mit einem Büro vertreten, das seit Dezember 2018 von Stefan Hlavac geleitet wird.

Wie sehr ist Ihre Arbeit in Addis Abeba betroffen von den blutigen Vorgängen in Tigray?

Stefan Hlavac: Der gewaltsame Konflikt betrifft die Hauptstadt sehr, denn im ganzen Land sind die Äthiopier sehr beunruhigt und irritiert. Wir haben Partnerorganisationen in der Region, die wir derzeit aufgrund der Kommunikationssperre nicht erreichen können. Die Fluchtbewegungen aus der Region verursachen weitere gravierende Folgen für die Bevölkerung.

Äthiopien ist ein Schwerpunktland der Austrian Development Agency. Was sind Ihre Hauptaufgaben momentan?
Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zwischen Äthiopien und Österreich konzentriert sich vor allem auf die Bereiche „Stärkung der Resilienz“ sowie „Inklusive Regierungsführung“.

Was bedeutet das konkret?
Konkret geht es darum, eine effektive und transparente Verwaltung auszubauen, die zur Teilnahme aller führt. Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit setzt sich dafür ein, die landwirtschaftliche Produktion zu steigern – für mehr Ernährungssicherheit im Land. Mit den von uns unterstützten Projekten und Programmen wollen wir besonders den Menschen in ländlichen Gebieten dabei helfen, sich besser vor Schocks wie etwa Dürrekatastrophen oder Hochwasser zu schützen. Und wir unterstützen sie bei der Anpassung an die Auswirkungen des Klimawandels. Besonderes Augenmerk legen wir auf die Förderung der Gleichstellung von Männern und Frauen sowie auf die Umsetzung der Rechte von Menschen mit Behinderungen.

Inwiefern hat sich Äthiopien aus Ihrer Sicht unter Premier Abiy Ahmed verändert?
Dr. Abiy Ahmed hat seit 2018 zahlreiche Reformen eingeleitet und sich für die Öffnung Äthiopiens eingesetzt, unter anderem im Bereich der Zivilgesellschaftsförderung oder bei der Öffnung der Medienlandschaft, aber auch hinsichtlich der Stärkung demokratischer Institutionen zeitigen diese Reformen bereits Wirkung.

Heuer hätte es in Äthiopien Parlamentswahlen geben sollen, nur wurden die coronabedingt auf nächstes Jahr verschoben: Wie wurde das in der Bevölkerung aufgenommen?
Die Entscheidung der ursprünglichen Verschiebung der Wahlen (wegen des nationalen COVID-19-Notstandes bis September 2020) wurde sowohl von der äthiopischen Bevölkerung als auch von Oppositionskräften mitgetragen.  Die Ankündigung des Premierministers, dass die Wahlen noch in diesem äthiopischen Kalenderjahr stattfinden werden, wurde auch positiv aufgenommen.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr für einen Flächenbrand in Ostafrika ein?
Die militärischen Auseinandersetzungen treiben sehr viele Menschen in Nachbarländer, die selbst momentan mit Herausforderungen zu kämpfen haben – so zum Beispiel die jüngste Flutkatastrophe im Sudan. Eine Gefahr, dass diese Auseinandersetzung in Tigray auch negative Einflüsse in den Nachbarländern hat, besteht sicherlich.

Die ganze Welt ist im Griff der Corona-Pandemie: Wie ist die Situation in Addis Abeba? Wie ist die Situation in anderen Regionen Äthiopiens?
Die äthiopische Regierung hat frühzeitig strenge Maßnahmen getroffen, um COVID-19 in den Griff zu bekommen und die Bevölkerung vor einer Ausbreitung der Krankheit zu schützen. Es gilt beispielsweise eine allgemeine Maskenpflicht im Freien, Treffen von mehr als 5 Personen sind verboten. Österreich steht seinem Partnerland bei der Bewältigung der Pandemie zur Seite. So unterstützen wir unter anderem unsere Schwerpunktregion Amhara aktuell mit einer Million Euro. Dieser Beitrag ermöglicht den verlässlichen Zugang zu sauberem Wasser in Quarantäneeinrichtungen und lokalen Gemeinden. Rund 25.000 Menschen profitieren davon.

Auf Fotos ist zu sehen, wie Tausende Menschen vor den Kämpfen aus Tigray in den Sudan flüchten. Haben Sie Informationen über die Lage dort?
Wir verfolgen die Situation in den Nachbarländern Äthiopiens engmaschig und mit großer Sorge über internationale und nationale Partnerorganisationen. Da schnelle Hilfe am besten hilft, bin ich glücklich und dankbar, dass rasch EU-Mittel in Höhe von 4 Millionen Euro für die ankommenden Flüchtlinge im Sudan freigegeben wurden.

Wie ist es zu bewerten, dass die UNO die Vorgänge in Äthiopien derzeit nur beobachtet?
UN-Organisationen wie UNDP, UNHCR oder UN OCHA leisten bereits im Rahmen ihrer Möglichkeiten Unterstützung für die betroffenen Menschen. Auch der diesjährige Friedensnobelpreisgewinner, das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen, hat seine Programme auf diese jüngsten Entwicklungen bereits angepasst und kann rasch implementieren, sobald der Zugang zur Region wieder möglich ist.

Stefan Hlavac, Büroleiter der Austrian Development Agency in Addis Abeba
Stefan Hlavac, Büroleiter der Austrian Development Agency in Addis Abeba © ADA