Sie haben im Auftrag von 17 OSZE-Ländern den Vorwurf der Menschenrechtsverletzungen und die Umstände der Präsidentschaftswahl in Weißrussland untersucht – und Sie kommen zu klaren Ergebnissen.

WOLFGANG BENEDEK: Die von mir untersuchten Berichte zu dieser Wahl zeigen eine Vielzahl von Unregelmäßigkeiten auf. Das beginnt in der Registrierungsphase, wo Kandidaten ausgeschlossen wurden wie der Blogger Sergei Tichanowski, was dazu führte, dass seine Frau Swetlana Tichanowskaja zur Wahl antrat. Behauptet wurde, dass 80 Prozent der Stimmen schon vor dem Wahltag abgegeben worden seien – hier konnte niemand kontrollieren, wie viele Stimmen tatsächlich hereinkamen. Auch am Tag der Wahl selbst hatten unabhängige Beobachter nur einen sehr beschränkten Zugang. Es sind eine ganze Reihe von Problemen aufgetreten, die es sehr wahrscheinlich machen, dass diese Wahl gefälscht war. Daher mein Schluss: Diese Wahl war weder transparent, noch frei, noch fair. Sie war nicht regulär. Deshalb empfehle ich, neu zu wählen.

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Was konnten Sie in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen feststellen?

WOLFGANG BENEDEK: Es hat sich gezeigt, dass in den ersten drei Tagen, in denen die Proteste entstanden sind, massiv Repression ausgeübt wurde; Folter wurde systematisch angewandt. Da gab es die gröbsten Übergriffe – gegen Männer, Frauen, Kinder. Alle sind drangekommen, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Der große internationale Aufschrei führte dazu, dass zwar nicht mehr systematisch Folter angewandt wurde, dafür hat sich die Repression verbreitert: Nicht nur, dass man die Demonstrationen niederknüppelt, sondern es kamen Vergeltungsmaßnahmen dazu, die sich gegen jeden richten, der oppositionell auftritt – seien es Studenten, Professoren, Streikende, Sportler, die sich kritisch äußern, oder Rechtsanwälte, die sich für politische Gefangene einsetzen. Diese Gruppen werden systematisch unter Druck gesetzt.

Verhaftungswelle in Minsk hält an
Verhaftungswelle in Minsk hält an © AP



Weißrussland hat Sie sehr kritisiert für Ihren Bericht und Ihnen Einseitigkeit vorgeworfen.

WOLFGANG BENEDEK: Ich habe als einen meiner ersten Schritte die weißrussische Delegation bei der OSZE gebeten, mir einen Besuch in Minsk zu ermöglichen und zu allen Vorwürfen in Bezug auf Wahlfälschung und Menschenrechtsverletzungen Stellung zu nehmen. Beides wurde abgelehnt. Dennoch habe ich die Berichte des Innenministeriums verfolgt, in denen bekannt gegeben wird, wie viele Personen jede Woche verhaftet werden.

Sie empfehlen der Staatengemeinschaft, die Wahl nicht anzuerkennen.

WOLFGANG BENEDEK: Das ist die logische Schlussfolgerung. Der Bericht enthält aber auch noch andere Empfehlungen, nämlich, dass man das Wahlgesetz reformieren müsste. Es wäre problematisch, die Wahl nach einem Gesetz zu wiederholen, das nicht den internationalen Standards entspricht. Unmittelbar umgesetzt werden müssten natürlich auch eine Beendigung der Gewalt und eine Freilassung aller politischer Gefangenen. Im Moment haben wir zudem die Situation, dass es hunderte Folteropfer gibt, und keiner kümmert sich darum. Der große Skandal ist die Straflosigkeit. Es ist bisher keine einzige Person strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden, obwohl sogar das weißrussische Innenministeriums selbst zugegeben hat, dass es in der ersten Phase massive Übergriffe gab. Diese Straflosigkeit muss beendet werden. Dafür schlage ich einen internationalen Mechanismus vor, an dem internationale Organisationen und Experten beteiligt sein sollen, die sich mit Trauma und Folter auskennen, um diese Fälle zu dokumentieren und für eine spätere gerichtliche Aufarbeitung vorzubereiten.