Bis zuletzt hatten die Verantwortlichen in Saudi-Arabien gezögert, am Ende ließen ihnen die hartnäckig hohen Covid-19-Zahlen im Land keine andere Wahl. Der Hadsch als weltweites Pilgertreffen von 2,5 Millionen Muslimen fällt aus – zum ersten Mal in der knapp 90-jährigen Geschichte des Königreiches. Ende Juli stattfinden soll lediglich ein symbolischer Mini-Hadsch mit um die tausend Teilnehmer aus Saudi-Arabien, erklärte der zuständige Minister Muhammad Saleh Benten.

Kein Gläubiger von auswärts darf die Heimat des Propheten Mohammed diesmal betreten. Alle 2500 Sonderflüge sind annulliert, die Grenzen dicht. Auch für die meisten inländischen Pilger bleibt der heilige Boden um die Stadt Mekka in diesem Jahr gesperrt. Die wenigen Auserwählten, von denen keiner älter als 65 Jahre sein darf, müssen sich vor dem fünftägigen Ritual testen lassen und danach in Quarantäne begeben.

"Sehr bittere Entscheidung"

In den Wochen zuvor hatten bereits Nationen wie Indonesien, Malaysia, Senegal und Singapur von sich aus die Teilnahme ihrer Staatsbürger abgesagt. Das sei eine „sehr bittere Entscheidung“, erklärte Indonesiens Religionsminister Fachrul Razi, dessen Nation mit 200.000 Pilgern normalerweise eines der größten Kontingente stellt. Diese Menschen alle hatten sich auf das wichtigste spirituelle Erlebnis ihres Glaubenslebens gefreut, schließlich gehört der Hadsch neben den täglichen Gebeten, den Almosen, dem Glaubensbekenntnis und dem Fasten im Ramadan zu den fünf Säulen des Islam.

Gottesdienst und großes Geschäft

Das Megaritual aber ist nicht nur frommer Gottesdienst, sondern auch großes Geschäft. Normalerweise muss ein Muslim für die Reise nach Mekka umgerechnet 1000 bis 5000 Euro berappen, ein VIP-Hadsch mit Luxushotel und Blick auf die Kaaba kann leicht das Zehnfache kosten. Nach Berechnung der Wirtschaftskammer von Mekka bringt das Pilgergeschäft dem Königreich jedes Jahr rund elf Milliarden Euro ein – für Flüge, Hotels, Essen, Getränke, Telefon und Andenken. Umgekehrt investierte Saudi-Arabien in den letzten Jahren enorme Summen, um das Millionenspektakel möglichst reibungslos zu gestalten. Eine 18 Kilometer lange Hochbahn, die Mekka mit den Stationen des Hadsch verbindet, hat das Chaos beim Transport der Pilgermassen reduziert. Zwischen Medina, der Hafenstadt Jeddah und Mekka existiert seit anderthalb Jahren eine Eisenbahntrasse mit Hochgeschwindigkeitszügen.

Mekka und Medina aberiegelt

Schon Ende Februar stoppte Saudi-Arabien wegen Corona sämtliche Visa für die Umrah, wie die kleine Wallfahrt heißt, die während des übrigen Jahres mehr als acht Millionen Besucher anzieht. Mekka und Medina wurden komplett abgeriegelt. In der Großen Moschee mit der Kabaa herrschte wochenlang totale Stille. Im Mai schwächte sich die Pandemie dann endlich ab. Seit den ersten Lockerungen Anfang Juni jedoch steigen die Infektionsraten wieder dramatisch und überschritten zuletzt sogar mehrmals die 4000er Marke. Auf den Intensivstationen der Krankenhäuser werden die Betten knapp, immer mehr Ärzte und Pfleger erkranken. In Jeddah musste sogar zum zweiten Mal eine strikte Ausgangssperre verhängt werden, die erst seit kurzem wieder aufgehoben ist. Alle internationalen Flugverbindungen der Wüstenmonarchie bleiben weiterhin auf unbestimmte Zeit gekappt.

Iran

Eine ähnliche Achterbahnfahrt bei den Neuinfektionen erlebt auch der Gottesstaat auf der gegenüberliegenden Seite des Persischen Golfs, die Islamische Republik Iran. Hier schien bereits Ende April das Ärgste überstanden, als die Infektionszahlen unter 1000 pro Tag fielen. Inzwischen steckt der Iran mitten in einer zweiten Corona-Welle mit täglich mehr als 2500 Neuinfektionen, so dass die Regierung kürzlich der Bevölkerung androhte, es werde einen zweiten Lockdown geben, falls sich die Disziplin bei den Abstands- und Hygieneregeln nicht bessere.

Fast 210.000 Iraner sind als Infizierte gemeldet, die Zahl der Toten pro Tag kletterte letzte Woche erstmals seit Mitte April wieder auf über 100. Die Dunkelziffer ist hoch. Viele Todesursachen werden gefälscht, weil die Familien fürchten, ihre Covid-19-Verstorbenen nicht nach muslimischen Regeln bestatten zu können. Fünf der 31 Provinzen gelten derzeit als Hochrisikogebiete. Die Sprecherin des Teheraner Gesundheitsministeriums, Sima Sadat Lari, beschwor ihre Landsleute, zu Hause zu bleiben und keine Ausflüge in andere Landesteile zu unternehmen. „Das ist ein unberechenbares und wildes Virus”, fügte sie hinzu, „was uns jederzeit überraschen kann.“