Es ist ein Wahlkampf mitten in der Krise: Polizeigewalt, Corona, Wirtschaftseinbruch und eine vollkommen polarisierte Gesellschaft erschüttern die USA derzeit in ihren Grundfesten. Präsident Trump ist in die Defensive geraten. Anfang November steht bei der Wahl eine Richtungsentscheidung an: Bleibt Trump im Amt, oder wird er vom Demokraten Joe Biden abgelöst? Voraussagen lässt sich der Wahlausgang noch nicht. Am Samstag Abend wird Trump in einer Halle in der republikanischen Hochburg Oklahama wieder einen öffentlichen Wahlkampf-Auftritt vor Zehntausenden Menschen absolvieren - die örtlichen Gesundheitsbehörden warnen, das Ereignis könnte zum "Super-Spreader-Event" mit zahlreichen Ansteckungen werden. Doch der Präsident lehnt es ab, die Wahl-Party zu verschieben.

Sechs triftige Gründe, die dafür sprechen, dass Trump im November abgewählt wird – und worauf er vielleicht doch noch setzen kann.

1. Die Wirtschaft im Tief

„It’s the economy, stupid!“ Mit diesem Wahlkampf-Slogan gewann Bill Clinton 1992 die US-Präsidentschaftswahlen. Es ist demnach der Zustand der Wirtschaft, von dem abhängt, wer die Wahl gewinnt: Alle Präsidenten der letzten hundert Jahre, denen die erhoffte zweite Amtszeit verwehrt blieb – Bush senior, Carter, Ford, Hoover –, hatten im Vorfeld mit schweren Wirtschaftsproblemen zu kämpfen. Die USA rutschen durch die Coronakrise nun in die schlimmste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Mehr als 20 Millionen Amerikaner verloren im April ihren Job; trotz Öffnung der Wirtschaft kommt die Beschäftigung nur langsam in Gang. Bis November lassen sich diese Probleme nicht mehr lösen.



2. Trump findet außerhalb seiner Basis kaum Zuspruch

Mit seinem polarisierenden Stil hat er gemäßigte Wählerschichten verprellt. Sein Virus-Krisenmanagement mit weltweit am meisten Toten schneidet in den Umfragen überwiegend enttäuschend ab: Die USA sind weiterhin das am schwersten von der Corona-Pandemie betroffene Land weltweit; mehr als 117.000 Infizierte starben. Fünf Monate vor der Wahl liegt Trump in der Beliebtheitsskala hinter allen Präsidenten der letzten 50 Jahre, die später die Wiederwahl schafften. Zugleich ist aufgrund der Massendemonstrationen gegen Rassismus mit einer Mobilisierung von Wählern der Demokraten zu rechnen.

3. Risse in Trumps Unterstützer-Kreisen

Auch im eigenen Lager wird Unmut laut – zumindest unter einstigen Weggefährten. Mehrere Generäle, darunter Ex-Verteidigungsminister James Mattis, stellten sich gegen Trumps Wunsch, mithilfe des Militärs gegen die Anti-Rassismus-Proteste vorzugehen. Mattis warf Trump vor, wie kein Präsident vor ihm das Land zu spalten. Dazu jetzt noch das Buch seines einstigen Sicherheitsberaters John Bolton, der Trump unter anderem vorwirft, Chinas Staatschef um Wahlhilfe gebeten zu haben. Dass sogar die eigene Nichte ihn in einem Buch als gefährlich beschreibt, geht da fast unter. Demografen ver weisen unterdessen darauf, dass Trump auch unter weißen Arbeitern und Frauen, die ihn 2016 noch wählten, an Rückhalt verloren habe.

4. Zulauf zu Biden

Der Wahlkampf des Demokraten war im Mai so erfolgreich wie nie. Mehr als 80 Millionen Dollar an Spenden langten bei ihm ein, im April waren es noch knapp über 60 Millionen gewesen. Das spiegelt sich auch in den Umfragen wider: Auf nationaler Ebene lag Biden in den ersten fünf Monaten des Wahljahres konstant vor Trump.

5. Dämpfer bei Kongress- und Teilwahlen

Bei den jüngsten Wahlgängen schnitten die Republikaner nur mäßig ab.

6. Kaum Erfolge in der Außenpolitik

Kim Jong-Un hat ihn ebenso hängen lassen wie die Iraner, die ihre Mullahs nach Vorstellung Trumps längst hätten stürzen sollen.

Warum er immer noch siegen könnte:

Dennoch: Der Unkonventionelle im Weißen Haus könnte das Steuer herumreißen. Was für einen Sieg Trumps spricht:

1. Der Amtsinhaber-Bonus

Seit der Gründung der Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts wurden nur 10 der 44 Präsidenten abgewählt.

2. Am Virus selbst ist Trump nicht schuld

Auch wenn er zu spät reagiert hat und viele Todesfälle wohl zu verhindern gewesen wären: Wirtschaft und Beschäftigung sind auch in anderen Ländern eingebrochen. Deshalb ist nicht klar, inwieweit das Wahlvolk die Wende zum Schlechteren Trump anlasten wird. Immerhin kann er argumentieren, dass die Wirtschaft vor der Pandemie florierte.

3. Die üblichen Regeln gelten für ihn oft nicht

Schon 2016 hatte kaum jemand erwartet, dass Trump, der zuvor nie ein politisches oder militärisches Führungsamt innegehabt hatte, die Wahl gewinnen würde.

4. Unmut über Randalierer könnte Trumps Basis mobilisieren

Dass es zu Beginn der Anti-Rassismus-Proteste zu Ausschreitungen kam, gibt Trump die Gelegenheit, sich als
„Law-and-Order“-Präsident in Szene zu setzen – gut möglich, dass dies weiße Wähler dazu bringen könnte, doch wieder für Trump zur Wahl zu gehen.

5. Auch sein Gegner ist schwach

Joe Biden leistete sich im Wahlkampf einige Patzer und tut sich schwer, Aufbruchsstimmung zu verbreiten.

6. Polarisierung nutzt Trump

Biden wird innerparteilich zu einem Linkskurs gedrängt – was Wähler der Mitte in die Arme Trumps treiben könnte.