Ungarn gehört zu den bislang am wenigsten vom Coronavirus betroffenen Ländern in Europa. Die Zahl der nachgewiesenen Infektionen sprang am Donnerstag um 15 zwar auf 73, und die Epidemie gewinnt an Tempo. Aber alles in allem steht das Land 15 Tage nach Bekanntwerden des ersten Falles noch relativ gut da.

Dennoch reagiert die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orbán schneller, härter und umfassender als viele andere. Am Donnerstag übernahm die Armee nach Angaben der Behörden die Kontrolle über gut 140 „strategisch wichtige“ Unternehmen. Kleine Gruppen von Offizieren, Fachleuten und Vertretern von Katastrophenschutz und Polizei wurden diesen Unternehmen zugeteilt und trafen in bislang 71 auch ein. Dort sind sie nun weisungsbefugt.

Kommentar unseres Ungarn-Korrespondenten

Das bedeutet nicht, dass sie gleich die operative Leitung übernehmen. Aber sie können es, wenn die Situation es nach Einschätzung der Regierung erfordert. Das soll dazu dienen, den Betrieb unter allen Umständen aufrechtzuerhalten und zu koordinieren, auch wenn die betroffenen Unternehmen als Folge der Krise pleite wären, Arbeitnehmer entlassen müssten oder auf dem freien Markt keine Rohstoffe oder Lieferungen mehr bekommen. Auch die „physische Sicherheit“ der Firmen soll so gewährleistet werden, was wohl Schutz vor Diebstahl oder Plünderung bedeuten soll.

Die Regierung hat in diesem Sinne eine „Aktionsgruppe zur Sicherung ungarischer Unternehmen“ unter Leitung von Verteidigungsminister Tibor Benkö ins Leben gerufen. Es ist eine von zehn Aktionsgruppen, die die Krise managen sollen. Der Minister erwähnte Journalisten gegenüber vor allem Infrastruktur-Unternehmen: Energieversorgung, Telekommunikation, öffentlicher Verkehr, Gesundheitswesen, Pharmaindustrie.

Insgesamt gibt es mehrere Hundert solcher „lebenswichtiger“ Unternehmen, die in Ungarn einer besonderen rechtlichen Ordnung unterworfen sind. Benkö teilte mit, dass die Zahl der vom Militär zu lenkenden Betriebe bald steigen könnte. Sollte den Firmen durch Weisungen der Armee ökonomischer Schaden entstehen, sollen sie später entschädigt werden.

Armee patrouilliert in den Städten

Ein Blick auf die Liste der Unternehmen zeigt, dass viele darunter sind, die der Staat sowieso kontrolliert. Allein die Treuhand-Gesellschaft, die auf der Liste steht, besitzt ganz oder teilweise rund 150 Großunternehmen, die zusammen gut die Hälfte des ungarischen BIP erwirtschaften. Viele von ihnen sind separat gelistet. Es sind aber auch private Konzerne dabei, etwa die multinationale Hypermarkt-Kette Auchan. Bemerkenswerterweise unterstehen nun auch die diversen Medien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dem Militär.

Ab Freitag soll die Armee vor allem in den Städten patrouillieren. Das soll laut Kanzleramtsminister Gergely Gulyás „das Sicherheitsgefühl der Bürger stärken“. Gulyás schilderte ein düsteres Szenario – 1070 Hotels würden schließen, da der Tourismus in Ungarn „aufgehört hat“. Man rechne mit „Hunderttausenden Arbeitslosen“. Ungarns Wirtschaft war zuletzt stark gewachsen.

Am Mittwoch hatte Orbán Sofortmaßnahmen zum Schutz der Wirtschaft und der finanziellen Sicherheit der Bürger angekündigt. Die Zinssätze für neue Kredite werden auf niedrigem Niveau gedeckelt. Laufende Kredite müssen bis Jahresende nicht mehr abgezahlt werden. Das gilt für Unternehmen, aber auch private Haushalte. Unternehmen müssen bis auf Weiteres keine Sozialabgaben mehr zahlen. Das soll helfen, die Liquidität der Unternehmen und Arbeitsplätze zu schützen.