US-Präsident Donald Trump hält eine Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan nach dem Rückzug der US-Truppen für möglich. "Es ist nicht geplant, dass es so kommt. Aber es wird womöglich so kommen", antwortete Trump auf die Frage, ob die Taliban die afghanische Regierung nach dem US-Rückzug aus dem zentralasiatischen Land entmachten könnten. "Jedes Land muss für sich selbst sorgen", formulierte Trump seine Sichtweise. "Man kann jemandes Hand nur eine bestimmte Zeit halten." Der US-Präsident äußerte sich rund eine Woche nach dem Abschluss eines Abkommens zwischen den USA und den radikalislamischen Taliban Ende Februar in Doha.

Das Abkommen von Doha soll den Weg für einen dauerhaften Frieden in Afghanistan und den Abzug der US-Truppen aus dem Land ebnen. Der Text sieht vor, dass die USA über die kommenden Monate ihre Truppenstärke in Afghanistan zunächst von rund 13.000 auf 8.600 reduzieren. Im Gegenzug sollen die Taliban Garantien abgeben, dass sie das Terrornetzwerk Al-Kaida und die Jihadistenmiliz IS bekämpfen sowie Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung in Kabul beginnen. Seit der Unterzeichnung des Abkommens gab es allerdings dutzende Taliban-Angriffe. Am Freitag wurden bei einem Anschlag auf eine Kundgebung in Kabul nach jüngsten Angaben 31 Menschen getötet und 61 verletzt. Die Taliban wiesen die Verantwortung für diesen Angriff zurück.

Neue Regierungskrise

Afghanistan droht allerdings kurz vor geplanten Friedensgesprächen zwischen der Regierung und den militant-islamistischen Taliban eine Zuspitzung der innenpolitischen Krise. Im Streit um den Ausgang der Präsidentenwahl wollen sich Amtsinhaber Ashraf Ghani sowie sein Kontrahent und bisheriger Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah am Montag beide zum Regierungschef erklären, hieß es aus beiden Lagern.

"Wir werden eine bahnbrechende Zeremonie abhalten", sagte Ghanis Sprecher der Deutschen Presse-Agentur. Abdullah hatte in einem im Fernsehen übertragenen Interview gesagt: "Ich habe immer noch Hoffnung auf eine Lösung für die Krise, aber wenn der Betrug über unser Land herrschen soll, zweifle ich nicht daran, dass wir eine Zeremonie abhalten werden."

Seit Monaten Streit

Seit Monaten herrscht Streit um den Ausgang der Präsidentschaftswahl im September 2019. Die Wahlkommission hatte Ghani am 18. Februar mit 50,64 Prozent der Stimmen zum Sieger erklärt. Abdullah wiederum forderte die Überprüfung von 300.000 seiner Ansicht nach ungültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung war mit 15 Prozent die geringste seit dem Sturz des islamistischen Taliban-Regimes per US-geführter Militärinvasion im Jahr 2001.

Die innenpolitische Krise trifft Afghanistan zur Unzeit. Die USA und die militant-islamistischen Taliban haben gerade am vergangenen Samstag nach einer Woche reduzierter Angriffe beider Seiten ein Abkommen abgeschlossen, das den Weg für innerafghanische Friedensgespräche einleiten sollte. Der Beginn der Gespräche war für Dienstag vorgesehen, nur einen Tag nach den geplanten Zeremonien. Um in den Verhandlungen mit den Islamisten zu bestehen, ist Beobachtern zufolge vor allem Einigkeit auf Regierungsseite vonnöten. Repräsentanten beider Seiten hatten sich Abdullah zufolge am Donnerstag im Außenministerium getroffen - zunächst jedoch ohne konkretes Ergebnis. "Jede von beiden Seiten vereinbarte Lösung ist besser als zwei Vereidigungszeremonien", sagte Abdullah.