Im April 2014 überfiel ein Terrorkommando der Boko Haram das Dorf Chibok im Norden Nigerias und entführte 276 Schülerinnen aus einem christlichen Internat. Die islamistische Terrororganisation Boko Haram, deren Name übersetzt so viel bedeutet wie „westliche Bildung ist Sünde“, ist bekannt dafür, dass sie Mädchen vergewaltigt, zwangsverheiratet, foltert. Ein Aufschrei ging damals um die Welt.

Persönlichkeiten wie Michelle Obama versuchten unter dem Hashtag #bringbackourgirls die Welt für diese vergessene Krisenregion zu sensibilisieren. Inzwischen konnten die meisten Chibok-Mädchen befreit werden, doch die Terrorgruppe zieht weiterhin eine Spur der Verwüstung und Gewalt. Boko Haram ist alles Westliche und das Christentum besonders verhasst.

© Andy Spyra

Der deutsche Fotograf Andy Spyra hat im Rahmen eines Langzeitprojekts Dutzende der von Boko Haram entführten Frauen und Mädchen porträtiert. „Es ist der absolute Horror, den diese Frauen erlebt haben, die meisten sind schwer traumatisiert“, erklärt Spyra der Kleinen Zeitung, „dieses Trauma, aber auch die immense Stärke dieser Frauen habe ich in Bildern festzuhalten versucht.“

Was möchten Sie mit Ihren Fotos vermitteln?
Andy Spyra: Einblick in eine Welt geben, die den meisten von uns – zum Glück – verschlossen ist. Wir leben in einer sehr privilegierten Position, in der eine solche Form von struktureller, immer wiederkehrender Gewalt nie stattfindet. Und um solche Strukturen zu verändern, braucht es Bilder. In einer Welt, die nicht hinschaut, wo Unrecht passiert, kann nichts gut werden. Ich hoffe, dass ich durch meine Fotos etwas verändere.


Zum Beispiel?
Andy Spyra: Mehr Ausbildung von Traumatherapeuten in Nigeria. Das ist absolut notwendig, fängt aber erst langsam an. Frauen und Männer, die mit Boko Haram zu tun hatten, sind alle schwer traumatisiert, doch professionelle Hilfe bekommen sie nicht.

Hilft denn die nigerianische Regierung nicht weiter?
Andy Spyra: Jein. Es gibt seit ein, zwei Jahren Traumaprogramme, doch die werden großteils von Privatinitiativen getragen. Der nigerianische Staat zeigt wenig Bemühen, sich positiv einzubringen. NGOs helfen und die Kirche.

Haben Sie selbst schon haarige Situationen erlebt?
Andy Spyra: Es gibt immer wieder brenzlige Momente. In Syrien oder Afghanistan ist es aber gefährlicher als in Nigeria, wo es keinen klassischen Bürgerkrieg mit klaren Fronten gibt. In Nigeria findet ein Schattenkrieg statt.

Der von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wird?
Andy Spyra: Ja, das ist ein total vergessener, übersehener Krieg. Kein Mensch weiß, was in Nordnigeria passiert. Aber das gilt ja für weite Teile Afrikas. Da gelten Stereotype wie: Dort herrscht ja ohnehin immer Krieg.

Sie wollen den Begriff „Kriegsfotograf“ nicht hören?
Andy Spyra: Nein.

Warum nicht?
Andy Spyra: Weil das jemanden beschreibt, der an die Front geht und Gefechte ablichtet. Mich interessieren die Geschichten, die hinter der Front liegen, die Menschen, das soziokulturelle Umfeld.

Keine Angst zu sterben?
Andy Spyra: Natürlich habe ich Angst. Aber man muss das rationaler betrachten: Im Straßenverkehr sterben weit mehr Menschen im Jahr als Journalisten in Kriegsgebieten.

Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?
Andy Spyra: Wenn ich das nicht tun würde, müsste ich mit meiner Arbeit aufhören. Ich habe in Deutschland durch meine zwei Kinder einen tiefen Anker, der Halt gibt. Wenn ich von einem Kriegsschauplatz ins Sauerland zurückkehre, in unser kleines Dorf mit den vielen Bauern, ist alles gut.

Fotograf Andy Spyra
Fotograf Andy Spyra © Andy Spyra
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