ARMIN THURNHER: Ein Vorteil unserer Art der Unterhaltung liegt ja darin, dass wir einander nicht mit Viren infizieren können. Segen des E-Mails! Wir beide können in die Ferne nichts mit Werken, nur mit Worten etwas bewirken. Virologen sind wir auch keine, aber die Frage „Macht uns das Coronavirus hysterisch?“ zielt ja auf die gesellschaftlichen Wirkungen von Covid-19, wie man das Coronavirus schon deswegen nennen sollte, um der Versuchung peinlicher Namenswitze zu entgehen. Obwohl die vielleicht helfen würden, ruhiger zu bleiben. Ich bin allerdings nicht hysterisch. Sie?

MICHAEL FLEISCHHACKER: Hysterisch? Nö. Ich neige derzeit der Meinung etlicher angelsächsischer Wissenschaftler zu, die sagen, dass Covid-19 sich durch hohe Ansteckungsraten und schwache Symptome auszeichnet. Will heißen: Es werden sich sehr, sehr viele anstecken, es wird bei wenigen die Krankheit ausbrechen, und wer durchschnittlich robust ist, muss nicht mit dramatischen Folgen rechnen. Menschen, die Vorerkrankungen haben oder aus anderen Gründen geschwächt sind, haben das größte Risiko, um sie sollte man sich konzentriert kümmern. Alles andere halte ich für Panikmache. Ich bin wie Sie kein Virologe, und ich weiß natürlich, dass die Angstlustbedürfnisse des spätmodernen Menschen ausufernd sind, weswegen wir in den kommenden Wochen durchaus mit Hysteriedarbietungen alle Art rechnen dürfen.

THURNHER: Das sehe ich ausnahmsweise ganz genauso. Da werden wir also unseren Dissens woanders suchen müssen. Ich denke, man kann die Hysteriker in drei Kategorien einteilen: erstens Schürer, die für ihre Absichten die Hysterie steigern. Zweitens, bloße Geschäftemacher. Und dann die Opfer, die sich wirklich fürchten. Bei eins und zwei weiß ich nicht, wen ich verachtenswerter finden soll, entscheide mich aber für unsere Regierung (mit Ausnahme des Gesundheitsministers). Sie rückt mit Militär, Polizei und Bundeskanzler aus, um Imageprofite durch vorgebliche mediale Beruhigungsauftritte einzuheimsen, die in Wahrheit nur der Panikmache dienen. Obszön, finden Sie nicht?

FLEISCHHACKER: Ich glaube, wir neigen dazu, das Normale obszön zu nennen, wenn es von denen vorgestellt wird, die uns nicht zu Gesicht stehen. Naturkatastrophen – und als solche kann man auch als Nicht-Hysteriker eine Pandemie bezeichnen (ich würde mich sehr wundern, wenn sich nicht sehr bald herausstellt, dass es eine ist) – sind immer auch eine gute Sache für Politiker, weil sie ihnen die Möglichkeit geben, beim Publikum archaische Vorstellungen von Politik abzurufen: der gütige Herrscher, der sich unser annimmt, wenn es uns schlecht geht. Der Aristokrat, der in der Stunde des Leids einer von uns wird, Erwin Pröll in Gummistiefeln sozusagen. Es wird Sie nicht wundern, dass es mich nicht wundert, dass Preise steigen, wenn Güter knapp werden. Man kann es ja im Fall einer Naturkatastrophe durch staatliche Intervention und Versorgung verhindern, hat man halt nicht gemacht.

THURNHER: Es war Viktor Klima in Gummistiefeln (gelb), Erwin Pröll trug Fliegenfischer-Watstiefel, das war noch besser. Ich denke, in der Demokratie ist eine gewisse Empfindlichkeit angebracht, wenn politisch Verantwortliche Krisensituationen nicht zum allgemeinen Wohl, sondern zuerst zum eigenen nützen. Diese Kritik hat nichts damit zu tun, dass mir der Kanzler auf die Nerven geht, wie gern kolportiert wird. Er ist ein begabter Mann. Leider etwas einseitig begabt, vor allem mit der Fähigkeit zur Selbstdarstellung. Es ist eine Anmaßung, in jeder Situation den gütigen Herrscher spielen und uns mit segnenden Händen beglücken zu wollen. Das Gegenteil wäre Aufklärung über die mögliche Pandemie, wie sie politisch von mir ebenfalls nicht geschätzte Ärzte wie etwa Dr. Marcus Franz geben. Der Kanzler möge zurücktreten (natürlich nur für den Augenblick)!

FLEISCHHACKER: Ich fürchte, lieber Thurnher, dass Sie als Spätjosefinist insgeheim noch immer an den weisen Philosophenkönig glauben, der immer ans Volk denkt, aber nicht an sich. Natürlich denkt der nicht an sich, er sitzt ja schon in der Hofburg und muss dorthin nicht gewählt werden. Der gewöhnliche Mensch hingegen will als Politiker die Macht erringen, und als Bürger will er sich behütet fühlen. Wir sollten in dieser Situation nicht vergessen, worin eine der wesentlichen Ursachen dafür liegt, dass die Österreicher auch nach mehr als hundert Jahren Interregnum noch autoritätsgläubig bis in die Knochen sind: weil ihnen der allergütigste Proporz in der Gestalt beider Backenbarthälften seiner Apostolischen Majestät erschienen ist. Vater Staat macht das schon, hört nur auf ihn. Wenn davon dann einmal jemand profitiert, den man nicht so besonders mag, ist das natürlich bitter.

THURNHER: Ich mag ihn ja eh, er soll nur weniger faulen Zauber betreiben, das wäre alles. Zum Beispiel könnte Sebastian Kurz meinetwegen einfach das Virus wegbeten, wie es der jetzige US-amerikanische Virus-Beauftragte, Vizepräsident Mike Pence, einmal mit einer HIV-Epidemie in seinem Heimatstaat machte. Aber bitte keine segnenden Gesten mehr mit Händen, die nicht einmal sichtbar desinfiziert wurden!

FLEISCHHACKER: Ich weiß nicht, ob wir hier wirklich Geschmacksfragen diskutieren sollten. Sie mögen Kurz nicht, Anschober schon. Fein, Ihre Sache, aber selbstverständlich hat der Herr Gesundheitsminister, ganz ein netter, inhaltlich genauso wenig zusagen wie der Kanzler. Der Hirnforscher Manfred Spitzer hat dieser Tage in meiner Sendung gefordert, dass in solchen Situationen ausschließlich Ärzte die öffentliche Kommunikation übernehmen sollten. Denen vertrauen die Menschen am meisten, den Politikern am wenigsten. An sich eine plausible Idee, aber in der Angstlustspirale drehen sich möglicherweise auch Vertrauens-, nicht nur Börsenindizes.

THURNHER: Grundsätzlich stimme ich Spitzer zu. Und Kurz mag ich sehr. Aber, wie der Verfassungsrechtler Peter Bussjäger feststellt: „Der Bundeskanzler ist nicht für den Vollzug des Epidemiegesetzes zuständig.“ Epidemie-PR soll er bleiben lassen, das ist zynisch. Andererseits ist es nicht einfach, zu kalkulieren, wie man die Hysteriespirale verlangsamt. Nehmen wir etwa das Verbot von Massenveranstaltungen mit über 1000 Menschen, wie es die nicht-hysterische Schweiz jetzt angeordnet hat: Hier wäre der virologische Nutzen (wahrscheinlich gering) gegen die psychologischen Folgen abzuwägen (steigert das die Angst oder signalisiert es Fürsorge der Behörden?).

FLEISCHHACKER: Schwer zu sagen, man kann es am Ende wohl nur individuell beantworten. Ich gehöre zu den Menschen, die mehr Polizei auf den Straßen nicht beruhigt, eher im Gegenteil. Andere entspannen sich am Rausch der Montur. Wichtiger als die Politik sind in einer solchen Situation die Behörden. Sie kennen ja die Geschichte von den Wiener Philharmonikern: Wenn die einen Dirigenten mögen, spielen sie, was sie immer spielen. Wenn sie ihn nicht mögen, spielen sie, was er dirigiert.