Ab Donnerstag geht es ans Eingemachte. Nach wochenlangen Sondierungen hat EU-Ratspräsident Charles Michel die Staats- und Regierungschefs nach Brüssel gerufen, um einen Durchbruch im Streit um das nächste Sieben-Jahres-Budget der Union zu finden. Notfalls vier Tage will der Belgier verhandeln. Für alle steht viel auf dem Spiel: Denn es geht um die Verteilung von mehr als 1.000 Milliarden Euro.

Einen Tag vor dem Sondergipfel ruft das EU-Parlament zur Ablehnung des Vorschlages auf: Man erwarte vom Europäischen Rat, "keine Schlussfolgerungen auf dieser Basis anzunehmen". Die Verhandler aus den Reihen der Europäischen Volkspartei (EVP), der Sozialdemokraten (S&D), der Liberalen (RENEW), der Konservativen (EKR) und der Grünen kritisierten unter anderem die geplanten Einschnitte. "Wo wir maßgebliche Investitionen erwarten, um den Green Deal und die Digitalisierung umsetzen und Europa stärker machen zu können, bestätigt oder vertieft Präsident Michel die Einschnitte in der Landwirtschaft, Kohäsion, Infrastrukturinvestitionen, Digitalisierung, KMUs, Erasmus, Jugendarbeitslosigkeit, Verteidigung und vielen anderen Bereichen."

Parlament will höheres Budget

Michels Vorschlag - er sieht ein Gesamtvolumen von 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftskraft für das Sieben-Jahres-Budget vor - bleibe "weit unter den Erwartungen des Europäischen Parlaments und der Bürgerinnen und Bürger", kritisieren die Abgeordneten. Das Europaparlament hatte ein Budgetvolumen von 1,3 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens gefordert und dies mit den zahlreichen neuen Aufgaben der EU etwa im Bereich von Grenzschutz und Klimapolitik begründet.

In Anspielung auf die von Michel vorgeschlagene Abgabe auf Plastikabfälle stellten die Abgeordneten fest, "dass es einnahmeseitig eine Öffnung der Position gibt". Es gebe dort aber weiter "zwei große Unzulänglichkeiten". Erstens müsse verhindert werden, das ein Korrekturmechanismus bei der Plastikabgabe die Anreizwirkung gefährdet. Zweitens müsse es eine klare und bindende Verpflichtung geben, dass im nächsten Budget neue Eigenmittelquellen geschaffen werden.

Das Europaparlament drängt darauf, den - schon einmal viel höheren - Anteil von Eigenmitteln am EU-Budget zu erhöhen. Die Abgeordneten erwarten sich davon ein Ende der Debatte über Nettobeiträge der einzelnen Mitgliedsstaaten. Während bei den Beratungen der 27 Mitgliedsstaaten das Erfordernis der Einstimmigkeit gilt, muss dem künftigen Budget auch das Europaparlament als einzige unmittelbar von den Bürgern bestimmte Institution der Europäischen Union zustimmen. Der Rat der Mitgliedsstaaten und das Europaparlament sind gemeinsam die Budgetbehörde der Europäischen Union.

Wer im EU-Budgetstreit was will:

Die Verhandlungsbasis

Michel hat über Wochen "Beichtstuhlgespräche" mit den einzelnen EU-Regierungen geführt, um Kompromisslinien auszuloten. Am Freitag präsentierte er seinen Vorschlag für den nächsten Finanzrahmen, der die EU-Politik in den Jahren 2021 bis 2027 prägen wird. Er sieht Kürzungen der Milliardenhilfen für Europas Bauern und Regionen vor, aber mehr Geld für Klimapolitik, Grenzschutz, Forscher und Studenten. Das Volumen soll bei 1,074 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung liegen. Dies sind knapp 1.095 Milliarden Euro.

Deutschland

Deutschland will wie bisher eine Begrenzung des Etats auf 1,0 Prozent der Wirtschaftsleistung. Denn Deutschland zahlt schon jetzt jährlich 13 Milliarden Euro mehr ein als es zurückbekommt. Sein Finanzierungsanteil wird durch den Brexit zudem von 21 auf 25 Prozent steigen. Finanzminister Olaf Scholz zeigt sich bei der Gesamthöhe aber in Grenzen gesprächsbereit. Er sieht Michels Plan jedoch inhaltlich als "Rückschritt". Scholz vermisst einen Fokus auf Zukunftsthemen und einen wirksamen Sanktionsmechanismus gegen Demokratiesünder.

Frankreich

Frankreich stören die massiven Kürzungen der Agrarhilfen. Ihr Anteil am Gesamtbudget soll Michel zufolge von 35 auf 30 Prozent sinken. Dies wären über sieben Jahre gut 50 Milliarden Euro weniger als bisher. Auf ein Gesamtvolumen hat sich Paris nicht festgelegt. Nach dem EU-Austritt Großbritanniens ist Frankreich aber zweitgrößter Nettozahler und hat somit ein Interesse daran, dass das Budget nicht ausufert. Anders als die meisten Nettozahler fordert Frankreich eine Abschaffung aller Beitragsrabatte, von denen es selbst bisher auch nicht profitierte.

"Die sparsamen Vier"

In der Gruppe haben sich die kleineren Nettozahler Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden zusammengeschlossen. Sie vertreten die härteste Position bei der Gesamthöhe und wollen das EU-Budget auf 1,0 Prozent des Bruttonationalproduktes (BNP) begrenzen. Sie verweisen darauf, dass sich ihre Einzahlungen wegen der gestiegenen Wirtschaftsleistung ohnehin erhöhen. Sie pochen auch weiter auf Rabatte, durch die ihre Beiträge bisher gesenkt werden. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bezeichnete den Vorschlag Michels als zwar "besser", fordert aber weitere Verhandlungen. Einsparungspotenzial sieht er bei den Regionalförderungen. Eine Erhöhung der Ausgaben für die Brüsseler Verwaltung lehnt Kurz ab.

"Die Freunde der Kohäsion"

Die Kohäsionspolitik mit Hilfen für strukturschwache Regionen zielt auf die langfristige Angleichung der Lebensverhältnisse in der EU. Sie ist mit 34 Prozent bisher der zweitgrößte Posten im EU-Budget. 15 Mitgliedstaaten aus Ost- und Südeuropa zählen sich zur Gruppe der "Freunde der Kohäsion". Sie fordert eine Beibehaltung der bisherigen Finanzierungshöhe bei den Regionalhilfen. Michel will sie aber auf unter 30 Prozent kürzen. Die "Kohäsionsfreunde" verlangen zudem die Abschaffung aller Rabatte der Nettozahler.

Die Visegrad-Gruppe

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei sind auch "Kohäsionsfreunde". Sie konnten in Michels Vorschlag einen Erfolg verbuchen. Er legte die Schwelle für die Kürzung oder Streichung von EU-Mitteln für Länder höher, die gegen demokratische Grundsätze wie die Rechtstaatlichkeit verstoßen. Nötig dafür wäre nun eine qualifizierte Mehrheit im Rat der Mitgliedstaaten, die als schwer erreichbar gilt.

Das Europaparlament

Ist der Verteilungskampf zwischen den Mitgliedstaaten beendet, muss auch das Europaparlament dem Haushalt zustimmen. Es fordert ein deutlich größeres Budget von 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Dies wären 1.324 Milliarden Euro. Parlamentspräsident David Sassoli drohte bereits vor der heutigen Entscheidung mit einer Ablehnung. Er begrüßte aber, dass Michel eine Plastiksteuer und eine EU-Beteiligung an den Einnahmen des Emissionshandels vorschlägt, um die Union unabhängiger von den Beiträgen der Mitgliedstaaten zu machen.