Im Französischen gibt es die Floskel vom „tout ça pour ça“. Man kann das mit „viel Lärm um nichts“ übersetzen. Dieser Seufzer trifft ziemlich perfekt auf Frankreichs Gezerre um die Pensionsreform zu.

Nach über 40 Streiktagen, nach Wochen eines heillosen Verkehrschaos in Paris und im ganzen Land deutet sich ein Kompromiss zwischen Regierung und gemäßigten Gewerkschaften an. Premierminister Édouard Philippe will, nachdem er bereits sehr viele Zugeständnisse an einzelne Berufsgruppen gemacht hat, Abstand nehmen vom „Orientierungsalter“, einer Anhebung des Pensionsalters auf 64 Jahre. Damit aber ist die Reform bis zur Unkenntlichkeit verwässert: Denn eigentlich hatte Präsident Emmanuel Macron ein universelles Pensionssystem versprochen, in dem alle 42 bisher getrennten Pensionskassen aufgehen sollten. Ein Punktesystem – nicht mehr die Jahre in Arbeit – sollte endlich Gerechtigkeit schaffen. Einzelne Berufsgruppen hätten Privilegien aufgeben müssen.

Davon ist nicht viel übrig. Den meisten „Spezialregimen“ ist es gelungen, in Einzelverhandlungen die alten Vorteile zu wahren. Es gibt nur einige wenige klare Verlierer der Reform, Freiberufler wie etwa Anwälte, Übersetzer oder Physiotherapeuten.

Offiziell soll das als „Win-Win“ verkauft werden, als „konstruktiver, verantwortlicher Kompromiss“, wie es Macron formuliert hat. In Wahrheit geht es nach zermürbenden, wirtschaftlich katastrophalen Streikwochen darum, dass alle Beteiligten die Arena erhobenen Hauptes verlassen können. Aber Philippe hat mit seinem Entgegenkommen nur die gemäßigte Gewerkschaft CFDT auf seine Seite gezogen. Die Hardliner der CGT fordern weiter die komplette Rücknahme der Reform und kündigen weitere Streiks an.

Philippes ursprüngliches Ziel, die Pensionskasse schuldenfrei zu machen, ist nicht erreicht. Bislang wird nur darüber spekuliert, was die Umstellung auf das Punktesystem und die vielen Zugeständnisse gegenüber Polizisten, Berufssoldaten, Lehrern und den Tänzerinnen der Pariser Oper kosten werden. Manche sagen 50 bis 70 Milliarden Euro.

Mehr noch als die letztlich zurückgenommene Reform ist der schmerzhafte Prozess der Einigung auf Minimalziele ein trauriger Beleg dafür, dass mit Macron an dieser Stelle keine politische Zeitenwende stattgefunden hat. Der junge Präsident war 2017 gewählt worden mit dem Versprechen, Frankreich zu reformieren. Macron sprach sogar von einer Revolution. Das neuralgische Zentrum dieses Transformationsprozesses verkalkter Strukturen war die im Wahlkampf angekündigte Pensionsreform, an der seit Mitte der 90er-Jahre alle Präsidenten scheitern.

In der Rückschau kann man sagen, dass Macron und sein Premier an diese Reform überraschend naiv gegangen sind. Sie haben sich wie politische Stümper angestellt. Macron hatte eine Systemreform versprochen, die Gleichheit schafft. Sein Premier wollte damit aber eine versteckte Konsolidierung der Kassen verbinden und hat die Erhöhung des Pensionsantrittsalters hineingeschmuggelt.

Erschütternd ist, dass die Gelbwestenkrise nichts gefruchtet hat. Trotz Bürgerdebatten ist es der Regierung nicht gelungen, für ihre Reform überzeugend zu werben – und das, obwohl Umfragen zeigten, dass die Mehrheit der Franzosen das Ende der 42 Pensionssonderkassen will.
Ein wirklicher sozialer Dialog, der bereits vor den Streiks hätte stattfinden müssen, wird jetzt erst eingeleitet: Premierminister Philippe geht auf das Angebot einer Gewerkschaft ein, eine Konferenz mit allen Beteiligten zu organisieren.