Nach Inkrafttreten einer Waffenruhe für das umkämpfte Bürgerkriegsland Libyen bestehen vorsichtige Hoffnungen auf ein Ende der monatelangen Gefechte. Die Konfliktparteien warfen sich allerdings bereits Minuten nach deren Inkrafttreten in der Nacht auf Sonntag gegenseitig Verstöße gegen die Feuerpause vor.

Italiens Außenminister Luigi Di Maio schlug in einem Zeitungsinterview vor, unter einem UNO-Mandat Truppen nach Libyen zu entsenden und den Konflikt durch ein Treffen im Dreierformat mit Italien, Russland und der Türkei zu entschärfen. Das Gesuch darum müsse jedoch aus Libyen selbst kommen. Europäische und konkret italienische Soldaten könnten sich an einer Blauhelm-Mission beteiligen, sagte Di Maio.

Die Präsidenten der Türkei und Russlands, Recep Tayyip Erdogan und Wladimir Putin, hatten die Waffenruhe zuvor nach einem Treffen in Istanbul gefordert. Die Türkei unterstützt die von der UNO anerkannte Regierung von Ministerpräsident Fajez al-Sarraj und hat trotz internationaler Kritik beschlossen, eigene Soldaten in das nordafrikanische Land zu schicken. Russland unterstützt dagegen - wie Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabische Emirate (VAE) - General Khalifa Haftar, der eine Offensive auf die Hauptstadt Tripolis angeordnet hat.

Überraschende Zustimmung

Die Waffenruhe wurde kurz nach Mitternacht (Ortszeit/23.01 Uhr MEZ) in der Nacht auf Sonntag wirksam, teilte Haftars selbst ernannte Libysche Nationalarmee (LNA) mit. Haftars Zustimmung kam überraschend: Noch am Freitag hatte er erklärt, den seit April laufenden Angriff auf die Hauptstadt Tripolis fortsetzen zu wollen. Ein ziviler Staat könne in Libyen nur errichtet werden, wenn die "terroristischen Gruppen" völlig zerstört würden. Haftar hat weite Teile Libyens unter seiner Kontrolle und genießt den Rückhalt des Parlaments mit Sitz im Osten des Landes.

Bereits Minuten nach Inkrafttreten der Waffenruhe habe es in zwei Randbezirken in Tripolis Verstöße gegeben, erklärte die Sarraj-Regierung. Ein LNA-Kommandeur teilte mit, die Regierung habe "mit allen möglichen Waffen, darunter Artillerie, an mehr als einer Front" gegen die Waffenruhe verstoßen. Beide Seiten erklärten, sich der Waffenruhe aber weiterhin zu verpflichten.

Die Vereinten Nationen begrüßten die Waffenruhe und riefen die Konfliktparteien auf, an dieser festzuhalten. Die politische UNO-Mission in Libyen (UNSMIL) erklärte ihre "volle Bereitschaft", die Libyer zu unterstützen und mit "allen ihren Quellen" auf eine "endgültige friedliche Lösung" hinzuarbeiten.

Türkei rühmt eigenen Erfolg

Die Türkei feierte die Waffenruhe als Erfolg. Erdogans Sprecher bezeichnete sie auf Twitter als "klares Ergebnis" der türkischen "Friedensdiplomatie" und als Folge der "intensiven Bemühungen unseres Präsidenten". Türkischen Medienberichten zufolge empfing Erdogan Al-Sarraj am Sonntag im Dolmabahce-Palast in Istanbul.

Die derzeitige UNO-Mission in Libyen umfasst internationale Mitarbeiter für politische Fragen und Themen wie Menschenrechte, Justiz, Minenräumung und Entwicklung. Es ist aber kein militärischer Einsatz: UNO-Blauhelmsoldaten wie im Südsudan oder in Mali sind dort nicht stationiert. Die als UNSMIL bekannte politische Mission läuft seit dem Sturz von Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011.

Ein blutiger Stellvertreterkrieg

Mit der Entsendung türkischer Truppen verwandelt sich der Konflikt immer weiter in einen Stellvertreterkrieg. Wegen der sich zuspitzenden Lage kam es in vergangenen Tagen in der arabischen Welt und in Europa zu einer ganzen Reihe von Treffen verschiedener Staats- und Regierungschefs sowie auf Ministerebene. Der türkische Präsidialpalast bestätigte am Sonntag zudem, dass Italiens Regierungschef Giuseppe Conte am Montag in die Türkei kommen werde.