Man kennt das in diesen vorweihnachtlichen Zeiten, wo in familiären Kreisen auch die ein oder andere inhaltliche Differenz überwunden werden muss. Und so ging es am Ende ganz schnell beim Bundesparteitag der SPD am Freitag in Berlin. „Deshalb schlage ich vor, Kevin Kühnert und Hubertus Heil zu stellvertretenden Vorsitzenden zu wählen“, sagte der neue Ko-Chef Norbert Walter-Borjans am Ende seiner Rede und entschärfte damit einen brisanten Konflikt. Der Kreis der Stellvertreter wird aufgestockt. So können Juso-Chef Kevin Kühnert, ein Gegner der Koalition mit der Union, und Arbeitsminister Hubertus Heil, einer ihrer Befürworter, gemeinsam als Vize amtieren. Keine Kampfkandidatur, und damit auch keine versteckte Entscheidung über die Zukunft der Bundesregierung.

Das war es aber auch an Nettigkeiten vonseiten der neuen SPD-Führung. Mit Saskia Esken aus Baden-Württemberg und Norbert Walter-Borjans aus dem Rheinland übernimmt erstmals eine Doppelspitze die Führung der Partei. Die Digitalexpertin erhielt 75,9 Prozent der Delegiertenstimmen, der Ökonom 89,2. Das Duo fiel sich auf offener Bühne um den Hals. Inhaltlich praktizierten sie eine Arbeitsteilung.

Von der Paketbotin zur Parteichefin

Esken, die von der Paketbotin zur Softwareentwicklerin und Bundestagsabgeordneten aufstieg, übernimmt die Themen Digitales und Arbeitsmarkt. Walter-Borjans, der sich als Finanzminister in Nordrhein-Westfalen durch sein Vorgehen gegen Steuerhinterzieher einen Namen gemacht hatte, positionierte die SPD als Friedenspartei und Vorkämpferin der sozialen Gerechtigkeit. „Wir sind die Partei des Bildungsaufstiegs“, erinnerte Esken an die große sozialdemokratische Epoche in den 70er-Jahren. Walter-Borjans knüpfte dort an. „Wenn die Rückkehr zur Politik Willy Brandts ein Linksschwenk ist. Dann sind wir eine linke Volkspartei“. Wohlfahrtsstaat, Bildungsgerechtigkeit, Entspannungspolitik - die SPD macht sich auf den Weg zurück in die Zukunft.

Die deutschen Sozialdemokraten nehmen Abschied von Gerhard Schröders Politik des dritten Weges. Esken will den Arbeitsmarkt mit dem Thema Digitalisierung versöhnen. Walter-Borjans pocht auf einer Vermögenssteuer für Reiche.

Für die Große Koalition wird es damit ungemütlicher. „Wenn die Schwarze Null die Zukunft unserer Kinder infrage stellt. Dann ist sie falsch“, stellte sich der neue Ko-Chef der SPD Walter-Borjans offen gegen die Politik des ausgeglichenen Haushalts von Finanzminister Olaf Scholz. „Wir werden mit der Union über die Fortsetzung der Koalition verhandeln“, sagte Esken und fügte hinzu: „Ich war und bin skeptisch. Aber mit unserem Leitantrag geben wir der Koalition eine realistische Chance auf Fortsetzung.“ Ein Bekenntnis zum Bündnis mit der Union klingt anders.

GroKo wurstelt vorerst weiter

Die SPD vollzieht mit der neuen Spitze die Trennung von Partei und Regierung. Das beruhigt die Partei und ihre aufgewühlte Basis, aber irritiert die Koalition. Saskia Esken warf Annegret Kramp-Karrenbauer vor, sie nehme die SPD in „Geiselhaft“. Die CDU-Chefin hatte die vereinbarte Grundrente zur Disposition gestellt, sollte die SPD die Regierung verlassen. Walter-Borjans ätzte gegen Kramp-Karrenbauer und deren Vorzeigeprojekt eines europäischen Flugzeugträgers. „Mit uns wird es dieses Schiff nicht geben“.

Die Äußerungen der neuen Doppelspitze geben einen Hinweis auf die künftige Strategie. Zuerst die Partei festigen. Die Profilierung der SPD macht es auch für die Große Koalition schwieriger. Das Bündnis wird nicht unmittelbar zerbrechen, auch wenn die Parteilinke um Hilde Mattheis weiter mit einer offenen Abstimmung über die Regierungsbeteiligung liebäugelt. Das Aus kommt nicht per Parteitagsbeschluss, sondern eher unvermittelt im Streit über eine Sachfrage wie die Debatte über den Flugzeugträger zeigt. Die SPD gibt sich nun links. Für die Große Koalition heißt das fürs Erste weiterwursteln.