Bislang fiel einem bei der Übung „hingebungsvolle Selbstzerfleischung innerhalb einer Partei“ in Deutschland nur die SPD ein. Nun hat sich auch die CDU auf dieses Spielfeld gewagt. Nach den Wahlniederlagen in drei ostdeutschen Ländern ist ein heftiger Streit über den Kurs und die Führung der Christdemokraten entfacht. Friedrich Merz stellte im ZDF sogar die Kanzlerin infrage. Der ehemalige Fraktionschef hat Angela Merkel als Hauptschuldige für die Rückschläge ausgemacht. Er wirft ihr „Untätigkeit und mangelnde Führung“ vor und fordert sie auf, ihr Amt vorzeitig zu beenden. Auch Roland Koch warf ihr im Magazin „Cicero“ eine „Argumentationsenthaltung“ vor. Ihm fehlten „Persönlichkeiten, die von einer Vision geprägt sind und die Bereitschaft zeigen, für diese Vision ihre politische Existenz zu riskieren“.

Merz war wie Koch einst Mitglied im Andenpakt, zu dem auch Ex-EU-Kommissar Günther Oettinger und Ex-Bundespräsident Christian Wulff gehörten. Ihr Plan: Sie wollten sich nie gegenseitig angreifen und gegeneinander kandieren, mit dem Ziel, dass einer Kanzler werde. Stattdessen setzte sich Merkel durch und zerschlug den Pakt. Nach und nach arbeitete sie sich an den Männern ab.

Kehrt nun der Andenpakt zurück, um Merkel zu stürzen? Die Attacke von Merz hat eine bisher nicht gekannte Schärfe und ist auch für die CDU unüblich. Merz liebt schon immer das offene Wort, doch diesmal langte er richtig zu. Das gesamte Erscheinungsbild der Regierung sei „grottenschlecht“. Seit Jahren legten sich „wie ein Nebelteppich die Untätigkeit und die mangelnde Führung durch die Kanzlerin“ über das Land.

Auch wenn der Unmut in der CDU gegen Merkel wächst, gibt es den Konsens, sie bis zum Ende ihrer Amtszeit 2021 regieren zu lassen. Allein schon aus Rücksicht auf ihre Lebensleistung. Sie selbst hatte ihr Karriereende frühzeitig ja festgelegt und als Kompromiss für die parteiinternen Kritiker die Weitergabe des Vorsitzes vollzogen.

Kritik auch gegen AKK

In der CDU wird die Attacke aber nicht nur auf Merkel, sondern auch auf Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer gemünzt, auch wenn Merz seine Kontrahentin bei der Kritik am Kurs der Partei ausdrücklich ausnahm. AKK habe mit Blick auf das Wahlergebnis in Thüringen „kaum eine negative Rolle“ gespielt.

Es zeichnet sich ab, dass das Ringen um die Kanzlerkandidatur gerade offen ausbricht. Denn die Junge Union stellt eine Tradition mittlerweile offen infrage. Bisher galt: Die Parteivorsitzende hat das Vorgriffsrecht auf die Spitzenposition bei der Bundestagswahl. JU-Chef Tilman Kuban stellte im CDU-Vorstand jedoch ganz offen fest, dass die ungeklärte Führungsfrage ein Problem für die Partei sei. Nun will Kramp-Karrenbauer schon bald einen Vorschlag machen. Beim Parteitag am 22. November dürfte darüber heftig gestritten werden.

Verteidiger der Kanzlerin

Ganz allein auf weiter Flur steht aber weder Merkel noch Kramp-Karrenbauer. Daniel Günther, Hoffnungsträger in der Union und Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, verteidigte die Kanzlerin vehement. Die Forderung nach einem vorzeitigen Ende der Amtszeit bezeichnete er als eine „Debatte, die von älteren Männern geführt wird, die vielleicht nicht ihre Karriereziele in ihrem Leben erreicht haben“. Merz war im Dezember 2018 Kramp-Karrenbauer im Rennen um den CDU-Vorsitz und damit um die parteiinterne Nachfolge von Merkel unterlegen. Es sei offensichtlich, „dass es hier darum geht, alte Rechnungen zu begleichen“.

Günther erinnere „das alles ein bisschen an die Situation, in die die SPD geraten ist“. Der oft so sachlich wirkende CDU-Politiker war nicht zimperlich in seiner Wortwahl für Merz und Koch: Er halte es nicht für hilfreich, „wenn das von der Seitenlinie kommt von Menschen, die mal Verantwortung für die Union getragen haben“. Man sehe sie immer, wenn es möglich sei, eine Schlagzeile zu produzieren. Aber wenn es darum gehe, für die Partei zu arbeiten, „dann machen sie sich wieder vom Acker“.

Merkel selbst schweigt im Machtkampf – wie so oft.