Es war noch relativ früh am Abend, da erfuhren die Journalisten auf der Wahlparty der regierenden Fidesz, dass Ministerpräsident Viktor Orbán seine Rede nicht draußen halten würde. Bisher hatte er sich immer unter freiem Himmel von einer jubelnden Anhängerschar feiern lassen. Das also würde diesmal ausbleiben. Es war das erste Signal, dass dieser Abend für die Regierungspartei schmerzhaft werden könnte.

Tatsächlich zeichnete sich dann im Laufe des Abends ein Sensationssieg der vielerorts erstmals vereint auftretenden Oppositionsparteien ab. Zwar blieb die Regierungspartei Fidesz dominant in den Regionalverwaltungen – fast alle Regionen blieben in der Hand der Fidesz –, aber in manchen wichtigen Städten lagen Oppositionskandidaten in Führung. So zum Beispiel im ostungarischen Miskolc, in Salgótarján und im südungarischen Pécs. Ágoston Mráz vom regierungsnahen Thinktank Nézöpont sagte im Staatsfernsehen, dass die Opposition mehr Bezirkshauptstädte kontrollieren wird als zuvor. Bisher waren es vier gewesen.

Das wichtigste Ergebnis war Budapest – dort lag nach Auszählung von 56 Prozent der Stimmen Oppositionskandidat Gergely Karácsony mit 50 Prozent in Führung, der amtierende Bürgermeister Isvtán Tarlós lag bei 44,9 Prozent. Kurz vor 22 Uhr gratulierte er seinem Herausforderer, noch ehe die Wahlbehörde seine Niederlage bescheinigte.
Die Opposition, die bisher nur sechs Bezirke der Hauptstadt regierte, lag in neun Bezirken in Führung. Und auch im Gemeinderat konnte sie eine Mehrheit erringen. Mit anderen Worten: Budapest wird ab sofort zur Machtbasis der Opposition gegen Orbáns Regierung.

Diesmal trat die Opposition vereint an

Der Schlüssel zum Erfolg war letztlich ihr vereintes Auftreten. Budapest war schon immer linker und liberaler als der Rest des Landes, aber Fidesz war relativ gesehen immer stärker als die fünf gegeneinander ringenden Oppositionsparteien. Dass sie sich jetzt zusammenrauften, löste dieses Problem. Die Frage ist, für wie lange. Es sind immer noch fünf Parteien in der Opposition, und es ist nicht sicher, ob ihre neue Liebe zueinander bis zur Parlamentswahl 2022 halten wird.

Die Wahlbeteiligung lag mit 47,3 Prozent deutlich höher als vor fünf Jahren (39 Prozent). Das lag auch daran, dass der Wahlkampf, obwohl es „nur“ um Kommunalwahlen ging, der brutalste war, an den man sich in Ungarn erinnern kann. Heimlich aufgenommene Videos und Tonmitschnitte wurden gegen so ziemlich jede Partei in Stellung gebracht. Im roten Budapester Stadtteil Kispest wurden die sozialistischen Lokalpolitiker gefilmt, wie sie – offenbar – Kokain nahmen und sich über die Mühen des Schmiergeldgeschäfts beschwerten. Im Budapester Vorort Budaörs wurde ein Oppositionsbürgermeister beim Seitensprung gefilmt. Die größte Erschütterung aber löste ein Sex-Video aus, das Zsolt Borkai, den Bürgermeister der zweitreichsten Stadt Ungarns (Györ), beim Geschlechtsverkehr mit Prostituierten auf einer Luxusjacht in Kroatien zeigte.

Auch Ungarn hat nun sein Ibiza

Dieses Video schlug zwei Wochen vor der Wahl wie eine Bombe ein. Borkai gehört zur Fidesz. Die regierungskritischen Medien begannen, dubiose Geschäftsverbindungen zwischen Borkai und Fidesz-nahen Geschäftsleuten unter die Lupe zu nehmen. Ein Schneeball-Effekt setzte ein: Borkai wurde zum Sinnbild für die Praktiken der Regierung von Orbán. Trotz allem trat er nicht zurück. In Györ führte er sogar sehr knapp, bis in den späten Abend hinein war nicht klar, wer die Wahl dort gewonnen hatte.

Zunächst schien die Regierungspartei den Skandal um das Video aussitzen zu wollen. Aber zwei Tage vor der Wahl schien sich Panik breitzumachen. Borkai kündigte eine Pressekonferenz an und blies sie eine Stunde später wieder ab. Die als Regierungsorgan geltende Zeitung „Magyar Nemzet“ publizierte einen scharfen Artikel, der Borkais Rücktritt forderte, aber kurz darauf war der Text wieder verschwunden. Budapests Bürgermeister István Tarlós forderte Borkais Rücktritt. Bis dahin hatten alle Umfragen ihn leicht in Führung gesehen.

Er, der persönlich als „sauber“ gilt, stolperte über die Achillesferse der Fidesz: Immer wieder fielen ihre Politiker durch einen Hang zum Luxus und zu neureicher Protzerei auf. Orbán selbst pflegt ein einfaches Erscheinungsbild, aber um ihn herum sorgten wiederholt Politiker für negative Schlagzeilen. Er wird jetzt schnell gegensteuern müssen.

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