Es gibt viele Menschen, die ihren 65. Geburtstag gebührend feiern, weil er in der Regel das Ende des regulären Erwerbslebens markiert (wenngleich in Deutschland allerdings das Renteneintrittsalter für den aktuellen Jahrgang bereits vier Monate nach dem Geburtstag liegt). Und es gibt einzelne Menschen, die an diesem Ehrentag ihre Pflicht erfüllen, wie an jedem normalen anderen auch. Angela Merkel ist so jemand. Sie – ganz Protestantin - arbeitet kantianisch-pflichbewusst und tagt mit ihrem Bundeskabinett in den Morgenstunden.

Später vollzieht sie dann den Wechsel in der Riege ihrer Minister und entlässt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die als EU-Kommissionspräsidentin am 1. November nach Brüssel wechselt, und nimmt ihre Nachfolgerin als CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer in den Reigen der Ressortchefs im Bund auf.

Für den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), bedeutet der Wechsel im Bundeskabinett der Kanzlerin seine große staatsmännische Stunde. Wie alle anderen 15 Regierungschefs der deutschen Bundesländer sitzt er im Bundesrat, der deutschen Länderkammer. Deren für ein Jahr gewählter Vorsitzender ist üblicherweise in den Sommermonaten so etwas wie Ersatz-Staatschef. Denn der Bundesratspräsident ist als dritthöchstes Amt der Bundesrepublik Deutschland nach dem Bundestagspräsidenten offizieller Vertreter des Bundespräsidenten. In der Ferienzeit ist das so etwas wie der Frühstücksdirektor.

Doch diesmal ist das wegen der Turbulenz in Brüssel anders. Frank-Walter Steinmeier weilt bis 21. Juli noch im Urlaub, somit würde ihn der aktuelle Bundesratspräsident Daniel Günther, Ministerpräsident aus Schleswig-Holstein vertreten. Doch auch der ist auf einer Auslandsreise. So kommt Müller zu einer seltenen Ehre. Der Berliner wird am Vormittag im Schloss Bellevue, dem Amtssitz des Bundespräsidenten, von der Leyen entlassen und Kramp-Karrenbauer zur neuen Verteidigungsministerin ernennen. Der fünfminütige Ruhm bringt ein wenig Glanz für den strauchelnden Chef der deutschen Hauptstadt. Denn er wurde in einer am Montag veröffentlichten Umfrage als unbeliebtester Regierungschefs aller 16 Bundesländer gekürt. Ebenfalls eine Seltenheit unter den Regierenden Bürgermeistern von Berlin.