Libyen schlittert in ein Inferno, die Kriegsparteien legen sich keinerlei Zurückhaltung mehr auf. Alle Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen sind gescheitert. General Khalifa Haftar, der seit drei Monaten versucht, Tripolis zu erobern, rief jetzt den totalen Luftkrieg gegen die libysche Hauptstadt aus. Erstes schreckliches Fanal dieser Eskalation war das Raketenmassaker mit 44 Toten in einem Flüchtlingscamp im Vorort Tajoura. Dennoch konnte sich der UN-Weltsicherheitsrat – wie gewohnt - nicht darauf einigen, dieses horrende Kriegsverbrechen einhellig zu verurteilen.

Für Libyen und seine Bevölkerung sind das apokalyptische Vorzeichen. Nach Syrien und Jemen ist ihre Heimat die nächste Nation der arabischen Welt, auf deren Boden fremde regionale Mächte ihre Klingen kreuzen. Auf der Seite der international anerkannten „Regierung der Nationalen Übereinkunft“ in Tripolis stehen die Türkei und Katar. General Khalifa Haftars „Libysche Nationalarmee“ wird von Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten hochgerüstet.

Tummelgebiet für Söldner aus aller Welt

Solche von außen kommenden Kontrahenten nehmen keine Rücksicht auf die örtliche Zivilbevölkerung, von Migranten in Internierungszentren ganz zu schweigen. Stattdessen mischen immer mehr Söldner aus aller Welt auf dem Schlachtfeld mit. Ausländische Kampfflugzeuge operieren ungehindert am Himmel, deren Piloten auf alles feuern, was ihnen ins Visier kommt. Gleichzeitig nutzen Jihadisten das Chaos im Land, um Terrornetzwerke neu zu knüpfen.

Auch bei der Aufrüstung gibt es kein Halten mehr. Haftars Armee protzt im Internet offen mit Radpanzern jordanischer Herkunft. Im Gegenzug luden Milizenkommandeure in Tripolis Kamerateams in den Hafen, um ihnen das Ausladen von Panzerfahrzeugen, Maschinengewehren und Flugabwehrraketen aus der Türkei zu demonstrieren. Als Haftars Generalstab vor einer Woche seine bisher wichtigste Angriffsbastion, die 80 Kilometer südlich der Hauptstadt gelegene Stadt Garian, räumen musste, ließ er tonnenweise Kriegsgerät zurück, das meiste aus den USA und China, ursprünglich geliefert an die Vereinigten Arabischen Emirate.

Europa fehlt der Wille, das Morden zu stoppen

Trotzdem ist die internationale Diplomatie gelähmt, der UN-Sicherheitsrat zerstritten. Moskau und Washington kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. Den von EU-Turbulenzen gebeutelten europäischen Mächten fehlt der politische Wille, das Unheil direkt vor ihrer nordafrikanischen Haustüre zu stoppen. Denn auf dem Mittelmeer kocht inzwischen jeder sein eigenes Süppchen. Die frühere Kolonialmacht Italien steht auf der Seite von Tripolis und ist froh, dass die libysche Küstenwache mehr und mehr Bootsmigranten wieder einsammelt und an Land zurückbringt. Frankreich wiederum stärkt dem angreifenden General Haftar den Rücken, weil man in Paris dem selbst ernannten starken Mann am ehesten zutraut, die Mittelmeergrenze abzudichten sowie die Anarchie von Milizen und Schleppern einzudämmen.

Die nahöstlichen Machtrivalen in Abu Dhabi, Kairo und Riad sowie in Ankara und Doha wiederum denken nicht daran, in absehbarer Zeit das militärische Feld zu räumen. Sie setzen voll auf Sieg. Und sie werden in Libyen weiter kämpfen lassen und dafür die Waffen liefern, bis alles in Trümmern liegt.