Kurz nach der EU-Wahl werden die EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel über die schwierige Besetzung einer Reihe von europäischen Spitzenposten beraten. Das Treffen soll am 28. Mai stattfinden, wie der EU-Gipfel im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) beschloss. Dort zeigten sich Differenzen in der Frage, ob erneut ein Spitzenkandidat der Parteien Kommissionspräsident werden soll.

Die Staats- und Regierungschefs betonten aber generell ihre Absicht, künftig stärker geschlossen zu handeln. Nach der Europawahl am 26. Mai muss nicht nur ein Nachfolger für EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gefunden werden. Auch die Posten an der Spitze des EU-Rats der Mitgliedstaaten, des Europaparlaments und der Europäischen Zentralbank werden neu besetzt. Hinzu kommt das Amt des "EU-Außenministers".

EU-Ratspräsident Donald Tusk kündigte an, er wolle das Personalpaket im Juni klären. "Das letzte Mal hat es zu lange gedauert", sagte er. Ein Konsens werde nicht einfach. Dieser sei aber angesichts von möglichen Mehrheitsbeschlüssen der Staats- und Regierungschefs in der Frage auch nicht unbedingt notwendig.

Juncker-Premiere

Mit dem Luxemburger Jean-Claude Juncker war 2014 erstmals ein Spitzenkandidat Kommissionschef geworden. Das EU-Parlament will dieses Verfahren beibehalten. Die Mitgliedstaaten sehen nach einer Erklärung von 2018 aber "keinen Automatismus" und behalten sich vor, auch andere Kandidaten vorzuschlagen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verteidigte das Spitzenkandidatenmodell der EU für die Wahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten und den EVP-Kandidaten Manfred Weber. Es wäre "absolut falsch", wenn diese Frage trotz des Wahlkampfs und TV-Diskussionen nachher im kleinen Kreis entschieden würde, sagte Kurz. Er warnte davor, dass die Mitgliedstaaten sich nach der Wahl "im kleinen Kreis" auf einen anderen Vorschlag als einen Spitzenkandidaten einigten. Das werde nicht "das Vertrauen in die Europäische Union stärken".

Angesprochen auf die Haltung des griechischen Premiers Alexis Tsipras, der sich gegen Weber ausgesprochen hatte, sagte Kurz: "Wenn Alexis Tsipras Manfred Weber unterstützen würde, würde ich mich eh fragen, ob Manfred Weber der richtige Kandidat ist." Tsipras befinde sich im ganz linken Spektrum der EU. Dass er Weber nicht als richtigen Mann sehe, sei "eher eine Auszeichnung für Manfred Weber".

Der legitimierte Nachfolger

Die Liberalen seien gegen das Spitzenkandidaten-Prozedere, weil sie anscheinend nicht daran glauben, die Europawahl zu gewinnen, so Kurz. Dies ändere aber nichts daran, dass das Prozedere richtig sei. Außerdem stünden die Parteien im Wahlkampf. Sollte die EVP stärkste Kraft werden, sei Weber der nächste legitime EU-Kommissionspräsident, bekräftigte Kurz. Auch der amtierende EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker habe gesagt, dass sich die Staats- und Regierungschefs schwer täten, einen Spitzenkandidaten zu verhindern.

In Sibiu seien auch die strategischen Ziele der EU wie der Klimaschutz diskutiert worden, sagte Kurz. "Wir wollen unseren Beitrag leisten, um die CO2-Emissionen deutlich zu reduzieren - aber die Zukunft der Europäischen Union kann nicht ein Mehr an Atomstrom sein", betonte er. Es sei genauso notwendig, für Erneuerbare Energien und gegen Atomstrom zu werben. "Da würde sonst aus 'gut gemeint' nicht unbedingt ein 'gut gemacht' werden." In einer gemeinsamen Erklärung hatten Frankreich, Belgien, Luxemburg, der Niederlande, Dänemark, Schweden, Portugal und Spanien das Ziel einer CO2-Neutralität bis 2050 gefordert.

Kurz bezeichnete den Gipfel in Sibiu als "notwendige Diskussion zur Zukunft der Europäischen Union." Er habe seine Vorschläge für eine EU-Vertragsänderung eingebracht. "Niemand kann mit dem Status Quo zufrieden sein. Es gibt auch keinen Grund für Selbstzufriedenheit, denn viele andere Regionen dieser Welt sind sehr schnell, sind sehr effizient, holen uns ein. Manche überholen uns sogar. Da ist es wichtig, dass wir auch gemeinsam daran arbeiten, die Europäische Union besser zu machen", sagte der Kanzler.

Generationswechsel

Es brauche einen Generationswechsel in der Europäischen Union und nicht nur neue Personen. Die EU brauche ein neues Fundament, also einen neuen Vertrag. Die EU sollte schlanker und effizienter werden, forderte Kurz. Konkret nannte er eine Verkleinerung der EU-Kommission und die Frage der Entscheidungsprozesse, der Parlamentssitz-Zusammenlegung und das Thema Wettbewerbsfähigkeit. Ohne Wettbewerbsfähigkeit gebe es auch keinen Wohlstand in der EU.

Einiges davon wäre sofort machbar, so Kurz. Eine kleinere Kommission bedeute nicht nur, dass diese sparsamer wäre, sondern auch weniger Bürokratie. Mehr Kommissare stünden dagegen für mehr Bürokratie. Kurz verwies auf die Möglichkeit eines Rotationsprinzips von Kommissaren. Österreich und andere wären bereit, auf etwas zu verzichten, wenn die EU dadurch schlanker, effizienter und handlungsfähiger werde. "Als Pro-Europäer sollte das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein."

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron lehnte das Spitzenkandidatenmodell weiter klar ab. Dies sei nicht der richtige Weg, sagte er. Das Vorgehen sei nur sinnvoll, wenn es bei der Wahl auch länderübergreifende Kandidatenlisten gebe.

"Ich unterstütze Manfred Weber, damit das ganz klar ist", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu dem CSU-Politiker, der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) ist. Sie verwies aber darauf, dass die Entscheidung über den Kommissionspräsidenten in einem Prozess zwischen Mitgliedstaaten und EU-Parlament getroffen werden müsse. "Und dann werden wir sehen, was passiert."

Geschlechterbalance "schwierig"

Tusk verwies darauf, dass bei der Vergabe der Spitzenposten auf eine geografische Ausgewogenheit geachtet werde müsse. Er fürchtet, "dass eine Geschlechterbalance schwierig zu erreichen sein wird". Bisher gibt es unter den Amtsinhabern der fünf Spitzenposten mit der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini nur eine Frau.

Der Gipfel verabschiedete auch eine Erklärung, die vor der Europawahl ein Signal der Geschlossenheit aussenden sollte. Die Staats- und Regierungschefs sichern darin zu, "vereint durch dick und dünn gehen" und sich "in Notzeiten untereinander solidarisch zeigen". Gleichzeitig wollten die EU-Regierungen Europas "Lebensstil, die Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit weiterhin schützen".

In Sibiu berieten die Staats- und Regierungschefs auch erstmals über mögliche Themenschwerpunkte bis zum Jahr 2024. Tusk hatte dazu eine zweiseitige Stichwortliste zu Bereichen wie Migration, Klimaschutz oder Zukunftstechnologien erstellt. Aus ihr soll er nun einen Entwurf für eine "strategische Agenda" erstellen, die im Juni beschlossen werden soll.

Bei den Beratungen sei auch darüber gesprochen worden, "dass wir schneller werden müssen in der Entscheidungsfindung", sagte Merkel. Sie habe deshalb vorgeschlagen, dass die Staats- und Regierungschefs Gipfel "durchaus alle zwei Monate" abhalten. Die Zahl der regulären EU-Gipfel würde dadurch von vier auf sechs pro Jahr steigen.

Kneissl für Einstimmigkeitsprinzip

Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) warnte am Donnerstag in einer Aussendung vor der "Aufgabe des Einstimmigkeitsprinzips in der gemeinsamen europäischen Außenpolitik". Das wäre "ein schwerer Fehler", erklärte Kneissl vor dem Hintergrund des EU-Gipfels. Es bestehe die Gefahr, dass "die kleineren europäischen Länder dabei in ihren Interessen zu kurz kommen" würden.

Davon wäre auch Österreich betroffen. Kneissl stellte sich hinter die Regierungsspitze: Es gebe "zweifellos einen Bedarf an Reformen in der EU", wie auch von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) gefordert werde.