Anhänger liebten sie, Rivalen fürchteten sie: In den vergangenen vier Jahren war Justizministerin Ayelet Schaked eine der prominentesten und entschlossensten Stimmen von Israels rechtem Lager. So beliebt war die Ex-Bürochefin Benjamin Netanjahus, dass sie zuletzt gar als potenzielle Nachfolgerin des Premiers betrachtet wurde. Doch was als kometenhafter Aufstieg begann, wurde nach einer Reihe strategischer Fehlentscheidungen zum Ikarus-Flug: Schakeds neu gegründete Partei, die sie und ihren politischen Partner, den Bildungsminister Naftali Bennett als ebenbürtige Rivalen Netanjahus etablieren sollte, scheiterte nach Auszählung von 97 Prozent der Stimmen an der Hürde von 3,25 Prozent.

Während die Computeringenieurin mit der nationalistischen Agenda voraussichtlich nicht ins nächste Parlament einzieht, wird stattdessen ein anderer altbekannter Angestellter Netanjahus Einzug halten und in der stark religiös angehauchten neuen Regierung die Rolle des säkularen Ultra-Nationalisten übernehmen: Avigdor Lieberman, Ex-Stabschef Netanjahus, vormaliger Außen- und Verteidigungsminister, der sich im Laufe der Jahre wie Bennet und Schaked vom Weggefährten zum Rivalen Netanjahus wandelte. Zwischen ihm und dem Premier klafft ein tiefer Graben. Dennoch muss Netanjahu in den kommenden Tagen um Lieberman buhlen, selbst wenn dieser sich zu einem seiner schärfsten Kritiker von rechts entwickelt hat. Statt Schaked werden Parteichefs von rechts und links in kommenden Tagen den bärbeißigen Lieberman umwerben wie keinen anderen Politiker. Denn er ist der neue Königsmacher.

Krise und Fall der Regierung

Damit erwies der alte Haudegen sich als besserer Kenner der israelischen Politik als die jüngeren Schaked und Bennett. Vor fünf Monaten nutzte er einen Schlagabtausch der radikal-islamischen Hamas im Gazastreifen, um sich als Hardliner zu profilieren. Er legte aus Protest gegen die zurückhaltende Strategie gegenüber den Islamisten sein Amt als Verteidigungsminister nieder. Das löste die Krise aus, die die Regierung einen Monat später zu Fall brachte.

Dabei wurde diese anfangs noch ausgerechnet von Bennett und Schaked bewahrt. Zwar übten sie wie Lieberman scharfe Kritik an Netanjahus Strategie. Doch statt persönliche Konsequenzen zu ziehen, blieben sie auf ihren Ministerposten. So verloren sie Glaubwürdigkeit und wirkten politisch schwach, besonders als der Premier sie einen Monat später mit der Ankündigung vorgezogener Neuwahlen überrumpelte.

Auf den Patzer folgte eine fatale Fehlkalkulation: Als Anführer einer national-religiösen Nischenpartei hatten Bennett und Schaked keine Chance, Netanjahu als Führer des rechten Lagers abzulösen. Von Umfragen in die Irre gelockt, glaubten sie an Erfolg, falls sie eine neue Partei gründen würden, die auf ihrer enormen Popularität basiert. Über Nacht verließen sie ihre eigene Partei und ließen diese 100 Tage vor der Wahl vollkommen desorientiert und führungslos. Das Paar war sich sicher, dass Bennetts militantes Auftreten als Vertreter religiöser Siedler und die Anziehungskraft, die Schaked auf die nationalistische säkulare Wählerschaft ausübt, genügen, um sie zu ernsthaften Rivalen Netanjahus zu machen. Sie träumten davon, dass ihnen dessen Likud-Partei wie eine reife Frucht in die Hände fallen würde, sobald der Premier wegen Korruption angeklagt und von seinen Anhängern gestürzt würde. Doch statt der Krone blieben beiden nur leere Hände. Dass die Wähler ihre Treulosigkeit bestraften und zu Likud zurückkehrten, ist für den Premier ein nicht minder wichtiger Sieg als der über die linke Opposition.

Kritiker im eigenen Lager

Dennoch bleibt Netanjahu jetzt nicht ohne Kritiker im eigenen Lager. Keiner kennt ihn besser als Lieberman, der als Stratege und Taktierer nicht weniger gewieft ist als der angehende Regierungschef. Als einziger Politiker des rechten Lagers hat nur Lieberman sich noch nicht offen zu Netanjahu bekannt. Er werde seine Position erst nach Bekanntgabe des endgültigen Ergebnisses bekannt geben, sagte Lieberman in der Wahlnacht. Derweil führt er angeblich geheime Verhandlungen mit Netanjahus Rivalen Benny Gantz. Sollte er sich auf dessen Seite schlagen, könnte Gantz Netanjahus Regierungsbildung effektiv blockieren und eine fünfte Amtszeit noch verhindern. Liebermans fünf Mandate wären entscheidend für eine stabile Mehrheit.

Gantz und Netanjahu werden nun alles Erdenkliche tun, um Lieberman in ihr Boot zu holen. Für wenige Tage hält der Ex-Stabschef damit Israels Zukunft in seinen Händen. Doch die meisten sind sich sicher, dass der Ultra-Nationalist letztlich mit seinem Ex-Boss koalieren wird - zu groß scheinen die Differenzen mit Gantz' anderen links-liberalen Koalitionspartnern. Doch seinen neuen Treueeid wird Lieberman sich teuer bezahlen lassen - um sich, im Gegensatz zu den überheblichen Bennett und Schaked, langsam und vorsichtig als potenzieller Netanjahu-Nachfolger zu positionieren.