Kim wurde bei seiner Ankunft in Hanoi nach fast siebzigstündiger Zugfahrt zwar von einer jubelnden Menge wie ein Rockstar empfangen. Treibende Kraft hinter diesem zweiten Gipfel in Vietnam war aber Donald Trump. Das erste Treffen in Singapur im Juni war mehr Schall und Rauch. Hanoi soll Konkreteres liefern, doch wieder wirkt der US-Präsident planloser als Kim. „Ich habe es nicht eilig, ich will niemanden hetzen“, sagte er und erklärte vor dem Abflug nach Hanoi vage: Amerika wolle Nordkoreas Entnuklearisierung und zum Lohn winke Kim ein „Land, das viele Geschwindigkeitsrekorde in Bezug auf die Wirtschaft aufstellen“ werde.

Konkret wurde Trump nicht, während Kim schon bei seiner ersten Neujahrsrede im Jänner 2012, kurz nach dem Tod seines Vaters, seine Strategie für eine „Ära der Wohlfahrt“ dargelegt hatte: die Waffe laden, damit drohen, sie benutzen und dann den Preis verlangen, um sie wegzustecken. Kim baute das von seinem Vater geerbte, darbende Atomprogramm zu einer Machtdemonstration aus. Er überzeugte die Welt, dass er mit einer thermonuklearen Bombe US-Festland erreichen kann. Er zündete eine Bombe, die 17 Mal stärker als jene war, die Amerika auf Hiroshima warf. Kims Langstreckenraketen können die US-Westküste oder Australien erreichen. Die Waffen sind Kims Versicherungspolizze.

Das nordkoreanische Regime hat gesehen, wie Muammaral Gaddafi in Libyen und Saddam Hussein im Irak gestürzt wurden. Kim schwor, dass ihm das nie passieren würde. Mit dem Atomarsenal verschafft er sich einen Platz am Tisch. Er handelt aus Kalkül. Jetzt geht es in die nächste Runde: die Sanktionen beenden, die Nordkoreas marode Wirtschaft lahmlegen und das Land für Handel öffnen. Kim setzt seine Strategie beharrlich um, ohne selbst zu viel preiszugeben.

Er stoppte öffentlichkeitswirksam Atom- und Raketentests, ohne deshalb wirklich Nordkoreas militärische macht zu schwächen. Die Aura des Mysteriösen umgibt ihn und Trump hat ihm etwas gegeben, das Nordkorea seit Jahrzehnten sucht: Legitimität. Kims diplomatische Charmeoffensive hat ihn zu einem größeren Akteur auf der politischen Weltbühne gemacht, die Bedrohung durch einen US-Militärschlag gegen Nordkorea ist praktisch auf null gesunken. Mittlerweile pflegt Kim auch gute Beziehungen zu Südkoreas Präsident Moon Jae-in und Chinas Herrscher Xi Jinping.

All dies ist Teil seiner Strategie. Kim will ein Ende der Sanktionen und den Friedensvertrag, der den Koreakrieg endgültig beendet. Er will Sicherheitsgarantien der USA und eine wiedervereinigte koreanische Halbinsel. Was gibt er auf? Seine Atomwaffen wohl kaum.
Kim behält die geladene Waffe auf dem Tisch. Die Welt soll es nur wagen, seine Entschlossenheit zu testen. Den Gipfelauftakt bildet heute ein gemeinsames Dinner, am Donnerstag folgen sann die offiziellen Treffen.