Premierministerin Theresa May hat im Brexit-Streit im britischen Parlament erneut eine Niederlage einstecken müssen. In einer symbolischen Abstimmung lehnten es am Donnerstag 303 Abgeordnete ab, ihre Zustimmung zu Mays Plan zu bekräftigen, durch Nachverhandlungen mit der EU Zugeständnisse zu erreichen. 258 Mitglieder unterstützten die Regierungschefin.

Die Premierministerin werde weiter daran arbeiten, Veränderungen an dem Vertragsentwurf über die Modalitäten für das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU zu erreichen, erklärte ihr Büro nach der Niederlage im Parlament. "Die Regierung verfolgt dieses Ziel weiter, um ein fristgerechtes Ausscheiden aus der EU am 29. März zu gewährleisten", sagte der Sprecher Mays.

Vom Weg überzeugt

Er erklärte, May sei überzeugt, dass Abgeordnete ihrer Konservativen Partei immer noch wollten, dass sie Nachverhandlungen führe. Sie hätten am Donnerstag aus Angst vor einem Verzicht auf die Option eines Ausstieges ohne Vertrag (No Deal) gegen May gestimmt. Eine erste Abstimmung über den Vertragsentwurf hatte May im Jänner deutlich verloren. Zwar wird May durch das neuerliche Votum nicht zu einem Kurswechsel gezwungen. Allerdings wird damit ihre Verhandlungsposition mit EU-Führern geschwächt.

Unterdessen telefonierte May am Donnerstag mit Bundeskanzler Sebastian Kurz, der derzeit auf Asien-Tour ist, sowie einer Reihe weiterer EU-Regierungschefs, darunter der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Nach Angaben des Sprechers von Kurz, Etienne Berchtold, ging es in dem Gespräch darum, wie ein No-Deal-Szenario verhindert werden kann, sowie um eine mögliche Änderung am Backstop - jener Auffanglösung, mit der nach dem Brexit eine harte Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und der britischen Provinz Nordirland vermieden werden soll.

Irland-Frage

Weder die EU noch die meisten britischen Parlamentarier wünschen sich einen Brexit ohne Vertrag. In diesem Fall wird mit gravierenden wirtschaftlichen Rückschlägen gerechnet. Der zwischen May und der EU ausgehandelte Vertragsentwurf stößt wegen der Regelung zu Gestaltung der Grenze zwischen Irland und dem britischen Nordirland auf Widerstand. Zwar wollen beide Seiten, dass keine Grenze mit Kontrollen, Absperrungen und Einschränkungen entsteht. Die EU fordert dafür jedoch, dass Nordirland Teil des Binnenmarktes bleibt, solange kein Handelsabkommen mit Großbritannien abgeschlossen worden ist. Das will eine Mehrheit im Parlament nicht akzeptieren. Die Kritiker befürchten, dadurch würde Großbritannien nach dem Brexit weiter den EU-Handelsregeln unterworfen bleiben.

"Bescheuertste Strategie"

Die Brexit-Hardliner monierten, dass die Regierung in der neuen Beschlussvorlage einen EU-Austritt ohne Abkommen ausschließen wollte. "Einen No Deal zu gefährden, wäre die bescheuertste Verhandlungsstrategie und nicht im nationalen Interesse", sagte der Vorsitzende der EU-skeptischen European Research Group, Steve Baker.

Handelsminister Liam Fox, der einer der führenden Brexit-Befürworter ist, hatte seine Abgeordnetenkollegen vor der Abstimmung vor einer erneuten Niederlage für May gewarnt. Bei der EU könnten dann Zweifel entstehen, ob ein nachgebessertes Brexit-Abkommen im britischen Parlament überhaupt eine Chance hätte, sagte Fox im Sender BBC Radio 4. Die EU werde die Debatte sehr genau verfolgen und darauf achten, "ob das Parlament definitiv liefern würde, wenn sie Zugeständnisse machen".

Oppositionsführer Jeremy Corbyn sagte, die erneute Niederlage zeige, dass May "keine Mehrheit" für ihren Brexit-Kurs habe. "Sie kann nicht einfach weiter auf Zeit spielen und hoffen, dass etwas auftaucht, das die Situation rettet und sie ihr Gesicht wahren lässt", sagte der Labour-Chef über May, die selbst nicht im Parlament war.

Der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir Starmer, warf May vor, auf Zeit zu spielen, um ihren Deal in letzter Minute doch noch durchzusetzen. Einen chaotischen Brexit ohne Abkommen werde das Parlament nicht zulassen. "Ich denke, die Mehrheit in diesem Parlament wird alles dafür tun, um das zu verhindern."

"Absolutes Fiasko"

Die Pro-EU-Rebellin Anna Soubry aus der regierenden Konservativen Partei meinte nach der Abstimmung: "Das ist ein absolutes Fiasko." Großbritannien werde zur Lachnummer der Welt.

Das Parlament lehnte am Donnerstag aber auch zwei Änderungsanträge der Opposition ab. Ein Labour-Antrag, der den Verhandlungsspielraum der Regierung einschränken sollte, wurde mit 322 zu 306 Stimmen abgelehnt. Ein zweiter Antrag, mit dem die Schottische Nationalpartei (SNP) eine Verschiebung des Austrittsdatums erreichen wollte, fiel ebenfalls durch. Die konservative Abgeordnete Soubry, die die Regierung zur Veröffentlichung einer Studie zu den wirtschaftlichen Folgen eines No-Deal-Brexit auffordern wollte, zog ihren Antrag vor der Abstimmung zurück.

Von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk gab es am Donnerstagabend zunächst keine Reaktion auf Mays Abstimmungsniederlage. Ein Kommissionssprecher bestätigte lediglich, dass für kommende Woche weitere Gespräche mit Brexit-Minister Stephen Barclay geplant seien.