Die EU will nach der historischen Abstimmungsniederlage für den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus nicht ein neues Austritts-Abkommen mit London verhandeln. "Eine Neuverhandlung ist keine Option", sagte die amtierende EU-Ratsvorsitzende und rumänische Europa-Staatssekretärin Melania Ciot im EU-Parlament in Straßburg.

Das Ergebnis mache "einen ordentlichen Austritt des Vereinigten Königreichs unwahrscheinlicher", sagte Ciot. Die EU werde die Ratifizierung des Brexit-Abkommens vorantreiben. Die Vorbereitungen für einen No Deal werde zugleich aber nun mehr Raum für die EU einnehmen.

"Wir können nicht zurückgehen und den Anfang verändern", sagte EU-Kommissionsvize Frans Timmermans. Aber man könne das Ende ändern. Auch er sagte, die EU müsse sich auf einen No Deal vorbereiten.

"Noch sind wir nicht bei einem No Deal angekommen", sagte EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani ebenfalls im EU-Parlament. "Wir nehmen diese Abstimmung zur Kenntnis, natürlich mit Bedauern."

Verschiedene britische Abgeordnete hätten aus gegensätzlichen Gründen gegen das Abkommen gestimmt. Die EU sei bereit, an den künftigen Beziehungen mit Großbritannien zu arbeiten. Die EU habe auch Vertrauen in ihren Chefunterhändler Michel Barnier.

Barnier hat vor einem ungeregelten Austritt gewarnt. "Noch nie war das Risiko eines No Deals so groß", sagte Barnier im EU-Parlament. "Solange wir keinen Ausgang für die britische Sackgasse gefunden haben, sind wir nicht in der Lage weiterzumachen", sagte Barnier. Deshalb müssten jetzt die weiteren Etappen von der britischer Regierung dargelegt werden. "Zum jetzigen Zeitpunkt kann kein einziges Szenario ausgeschlossen werden. Das ist auch wahr für den No Deal, den ungeregelten Austritt." Die EU sei weiter entschlossen, ein solches Szenario zu vermeiden.

Barnier verteidigte das Austrittsabkommen, das er federführend für die EU ausverhandelte. Das Abkommen sei "der beste mögliche Kompromiss". Die britische Regierung solle nun sagen, "wie man am 29. März geordnet austritt", forderte Barnier. Der EU-Chefverhandler bedauerte das Ergebnis der Abstimmung. Die Notfalllösung für Irland hinsichtlich der Grenze zum britischen Nordirland (Backstop) müsse glaubwürdig bleiben, betonte der Franzose. Die einzige Rechtsgrundlage dafür sei das Austrittsabkommen. Dessen Ratifizierung sei eine Vorbedingung für gegenseitiges Vertrauen.

Deutschland fordert nun Klarheit

Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) fordert nun Klarheit von Großbritannien. London sei jetzt "am Zug", sagte Maas im Deutschlandfunk. Die Abgeordneten des Unterhauses hätten nicht klar gemacht, was sie wollen - lediglich, was sie nicht wollen. "Das ist nicht ausreichend", betonte der Außenminister.

Es brauche eine schnelle Lösung. Nachverhandlungen des vorgelegten Vertrags mit der EU sehe er aber er kritisch. "Wir haben einen Kompromiss", sagte Maas. Beide Seiten seien bereits aufeinander zugegangen. "Wenn man noch mehr hätte anbieten können, hätte man das schon vor Wochen tun müssen." Nun müsse erst einmal der Ausgang des Misstrauensvotum gegen Premierministerin Theresa May am Mittwochabend abgewartet werden sowie ihr neuer Vorschlag für das Parlament. Ein Sturz Mays würde die Lage noch komplizierter machen, sagte Maas. Für Verhandlungen brauche es eine stabile Regierung in London.

Eine Verschiebung des für Ende März geplanten EU-Austritts der Briten hält Maas für schwierig, auch angesichts der im Mai anstehenden Europawahlen. Zudem brauche es auch für eine Verschiebung eine klare Linie Londons: "Das macht nur Sinn, wenn es auch einen Weg gibt, der zum Ziel hat, dass es ein Abkommen zwischen der EU und Großbritannien gibt. Das sei derzeit aber "nicht Mehrheitsmeinung im britischen Parlament".

Verschiebung ist möglich

Denn eine Verschiebung ist aus der Sicht der französischen Regierung sehr wohl möglich. Eine Verschiebung über den 29. März 2019 hinaus sei "rechtlich und technisch möglich", wenn die britische Regierung sie beantrage, sagte Frankreichs Europa-Ministerin Nathalie Loiseau dem Radio France Inter. Auch Präsident Emmanuel Macron hatte einen Aufschub bei einem Auftritt in der Normandie nicht ausgeschlossen. "Sie  werden sagen, wir nehmen uns mehr Zeit", hatte er gesagt. Zu Nachverhandlungen äußerte er sich aber skeptisch. "Wir werden vielleicht sehen, ob wir ein oder zwei Punkte verbessern können", sagte er. "Ich glaube aber nicht wirklich daran, denn wir sind mit dem Abkommen bereits an die Grenzen gegangen." Die EU könne nicht die Interessen der Europäer vernachlässigen, "um ein innenpolitisches Problem der Briten zu lösen".

Auch der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hält einen Aufschub für möglich, um doch noch ein ausgehandeltes Abkommen durchs britische Parlament zu bekommen. Wenn die Regierung in London die EU um mehr Zeit bitten sollte, dann werde das in Europa wohlwollend geprüft werden, sagte Rutte dem niederländischen Fernsehen. Allerdings müsse London zugleich auch mit konkreten Lösungsvorschlägen und Zugeständnissen kommen: "Denn wenn wir uns noch ein paar Monate länger im selben Kreis drehen, wird es sicher keine große Begeisterung geben."

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat die Regierung in London aufgefordert, zu sagen, wie es weitergehen solle. Sie bedauere das Nein des Parlaments sehr, sagte Merkel in Berlin. "Wir glauben, dass es jetzt an der britischen Seite ist, uns zu sagen, wie es weiter geht." Man wolle den durch den britischen Austritt aus der EU entstehenden Schaden "so klein wie möglich halten". "Deshalb werden wir auf jeden Fall versuchen, eine geordnete Lösung weiter zu finden", kündigte Merkel an.

Baltische und nordische Staaten bereiten sich auf harten Brexit vor

Die baltischen Staaten haben die Ablehnung des Brexit-Abkommens mit Sorge aufgenommen. Die Entscheidung sei "bedauerlich", schrieb der estnische Regierungschef Jüri Ratas auf Twitter. "Wir sind weiterhin davon überzeugt, dass die vorgeschlagene Vereinbarung die beste Option ist. Wir werden jetzt auf die nächsten Schritte der britischen Regierung warten." Auch der lettische Außenminister Edgars Rinkevics bedauerte das Ergebnis der Abstimmung. Er hofft, dass die britische Regierung nun aufzeige, wie es weitergehen könne. "Die einfache Wahrheit ist, dass sowohl das Vereinigte Königreich als auch Europa einander brauchen", schrieb er.

Sein litauischer Amtskollege Linas Linkevicius twitterte: "Ich hoffe auf eine vernünftige und schnelle Lösung." Nötig sei Sicherheit für die Bürger und Unternehmen aus der EU und Großbritannien. "Alle Optionen bleiben offen, einschließlich des Exit vom Brexit." Die Regierungen in Tallinn, Riga und Vilnius haben bereits damit begonnen, sich auf die möglichen Folgen eines ungeregelten EU-Austritts Großbritanniens vorzubereiten.

Der dänische Regierungschef Lars Lökke Rasmussen hat die Abstimmungsniederlage als "zutiefst bedauerlich" bezeichnet. Man sei jetzt einen Schritt näher an einem chaotischen Brexit, schrieb Lökke  auf Twitter. Es liege nun an den Briten, aus der Situation wieder herauszukommen. Schwedens Premier Stefan Löfven bedauerte ebenfalls: Das vom Unterhaus abgeschmetterte Abkommen sei der beste Weg für einen geordneten Brexit gewesen. Auch Löfven sieht Großbritannien, beziehungsweise - sollte sie die kommenden Stunden und Tage politisch überstehen - May am Zug. Schweden sei jedenfalls für jeden Fall, auch für einen harten Brexit gerüstet.

Finnlands Regierungschef Juha Sipilä forderte die in Finnland lebenden Briten auf, sich möglichst rasch bei der Einwanderungsbehörde zu melden und dort die Aufrechterhaltung ihrer Aufenthaltsberechtigung zu beantragen. Sipilä bezeichnete Mays Scheitern mit dem von ihrer Regierung mit der EU ausgehandelten Austrittsabkommen im eigenen Parlament als "bedauerlich, aber keine Überraschung". Sowohl in Finnland als auch in der EU bereite man sich auch auf einen ungeordneten Brexit vor. Die Außenministerin des Nicht-EU-Landes Norwegen, Ine Eriksen Söreide, sieht ihr Land ebenfalls auf einen No Deal vorbereitet, hoffte in einer ersten Reaktion auf Mays Niederlage dennoch auf eine parlamentarische Lösung in Großbritannien im Hinblick auf einen geordneten Brexit im Rahmen eines Abkommens mit der EU.