Die glitzernden Kronleuchter im Weißen Haus spiegeln die Stimmung des Hausherrn, als Donald Trump in den ersten Tagen diesen Jahres mit der norwegischen Ministerpräsidentin Erna Solberg vor die Kameras tritt. Der US-Präsident preist den Seefahrer Erik den Roten, der vor tausend Jahren die erste skandinavische Siedlung in Grönland gründete, lobt Oslos aktuellen Waffenkäufe in den USA und schwärmt von den Handelsbeziehungen beider Länder. „Es klingt schockierend: Wir haben einen Überschuss“, sagt Trump mit gespielter Empörung: „Aber ich kann Ihnen versprechen: Wir bekommen mehr und mehr Überschüsse in der Welt.“

Amerika zuerst. Die Welt als Marktplatz. Und die Verbündeten als zahlende Kunden. Das sind nicht die einzigen Stereotypen, die Trump kurz nach Neujahr formuliert, um sie in den nächsten Monaten dann gebetsmühlenartig zu wiederholen. „Es gab keine Zusammenarbeit mit den Russen“, stimmt er seinen wichtigsten Refrain auf Twitter an und fordert die Verhaftung von Hillary Clinton. Einen Tag nach dem Treffen mit Solberg sitzt er im Oval Office mit Abgeordneten zusammen: „Warum kommen alle diese Leute aus Drecksloch-Staaten zu uns?“, poltert er über Migranten aus Mittelamerika und Afrika. Die Medien empören sich, aber Trumps Anhänger jubeln.

Im Rückblick wird deutlich, was Beobachter damals nur ahnen: 2018 ist das Jahr, in dem Donald Trump tatsächlich die amerikanische Präsidentschaft kapert. Sein Sieg bei den Wahlen 2016 hatte den Milliardär selber überrascht. Das erste Amtsjahr 2017 war geprägt von chaotischen Selbstfindungsprozessen im Weißen Haus. Damals hatten Optimisten noch gehofft, gemäßigte Minister und Berater könnten den narzisstischen Wüterich einhegen. Doch damit ist es 2018 endgültig vorbei. Offen revoltiert Trump gegen die „sogenannten Experten“ in seinem Umfeld. „Nicht gratulieren!“ schreiben sie nach der umstrittenen russischen Präsidentschaftswahl auf seinen Sprechzettel. Trump greift zum Telefon und beglückwünscht seinen Freund Wladimir Putin ausdrücklich.

Die Ketten gesprengt

„Es hat eine Weile gedauert, bis der Präsident überblickt hat, wie viel Einfluss er auf die Dinge nehmen kann“, gesteht Trumps Berater Rudy Giuliani im März: Seither akzeptiert Trump nur noch eine einzige Autorität – seine eigene. „Ich bin ein sehr stabiles Genie“, bescheinigt er sich auf Twitter. Den Demokraten, die seiner Regierungserklärung nicht applaudieren, unterstellt er Staatsverrat. Er feuert seinen Außenminister Rex Tillerson, der das Iran-Abkommen beibehalten will, und seinen Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, der Putin kritisch sieht. Seinen Wirtschaftsberater Gary Cohn zwingt er mit der Entscheidung für Strafzölle zum Rückzug. Selbst in der Russland-Affäre übernimmt er seine eigene Verteidigung. Seine Partei, die Republikaner, ist zu einer Truppe opportunistischer Claqueure verkommen. Trump hat seine Ketten gesprengt.

Ein US-Präsident, der die Welt als Arena betrachtet, in der jeder seine Stärke rücksichtslos zum eigenen Vorteil einsetzt, der demokratische Werte der Nützlichkeit unterordnet, Diktatoren hofiert und Staatsmorde an Regimekritikern mit einem Achselzucken quittiert – so etwas hat es lange nicht gegeben. Und die westliche Welt weiß bis heute keine Antwort darauf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron pflanzt mit dem umschmeichelten Ego-Shooter eine Eiche, die von den Gärtnern des Weißen Hauses aus Angst vor Schädlingen wieder ausgerissen wird. Und Kanadas Premier Justin Trudeau erlebt ein jähes Ende seiner Charmeoffensive beim G-7-Gipfel in La Malbaie, als sich Trump nach der Abreise aus der Air Force One meldet, um die Abschlusserklärung zu verreißen und den Gastgeber zu beleidigen.

Das hat es noch nie gegeben

Im Juli steht Trump in Helsinki dann neben Russlands Präsident Putin, den er bewundert. Für die schlechten Beziehungen zwischen Washington und Moskau macht Trump die „amerikanische Verrücktheit“ vor seiner Zeit und die Untersuchungen durch Sonderermittler RobertMueller verantwortlich. Putin streitet ab, dass Russland versucht habe, die US-Wahlen 2016 zu beeinflussen. Amerikas Geheimdienste halten das hingegen für erwiesen. Wem er nun glaube, wird Trump bei der Pressekonferenz gefragt. „Präsident Putin sagt, dass Russland nichts getan hat“, antwortet er, „und ich sehe keinen Grund, warum es das getan haben sollte.“

Die Szene ist unerhört. Trump wiederholt das Muster ein paar Monate später, als er dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman im Mordfall Khashoggi mehr glaubt als der CIA. Immer ungehemmter verstößt der Präsident gegen Normen, die den Amerikanern traditionell heilig sind: Er lügt und täuscht im Minutentakt, verhöhnt den Kriegshelden John McCain, bereichert sich im Amt und liefert mit seinen Angriffen auf die freie Presse den Diktatoren aller Länder einen Persilschein von höchster Stelle.

Immer wieder klagt Trump, die USA seien mit ihrer Kompromissbereitschaft zur „Lachnummer“ der Welt verkommen: „Die denken, wir sind Idioten.“ Ende September steht der Präsident in New York vor den Regierungschefs und Außenministern von 193 Staaten. Er beginnt seine UN-Rede mit einem Selbstlob. „Wir haben mehr erreicht als jede andere Regierung in der US-Geschichte“, prahlt der Präsident, als im großen Saal der Vereinten Nationen plötzlich offenes Gelächter ausbricht. Auf bittere Weise hat Trump unfreiwillig seine eigene Wahrnehmung bestätigt.

Jeder Spott, jede Enthüllung prallen an Trump ab

Doch weder mit Enthüllungsbüchern noch mit Spott ist einem Mann beizukommen, der keinerlei Selbstzweifel kennt und von seinen Anhängern als ausgestreckter Mittelfinger gegen das Establishment gefeiert wird. Neben den Ex-Präsidenten Barack Obama, Bill Clinton und Jimmy Carter wirkt Trump bei der Trauerfeier für den verstorbenen George H. W. Bush im Dezember wie ein Fremdkörper. Aber er braucht die Unterstützung dieses Teils Amerikas nicht. Rund 80 Prozent der Republikaner-Wähler stehen unverändert hinter ihm. Bei Kundgebungen wie in der einstigen Industriestadt Erie in Pennsylvania kann man die rechte Basis treffen. Es sind weiße Männer mit kurzen Hosen und derben Arbeitsschuhen, die um ihre Jobs und die gewohnte Ordnung fürchten. Trump schürt gezielt die Angst. Seine Slogans von den „verbrecherischen Demokraten“, den „kriminellen Ausländern“ und der neuen Stärke des Industriestandorts USA fallen hier auf fruchtbaren Boden.

Aller Empörung in den US-Zeitungen und im Ausland zum Trotz ist Trump mit der Zerstörung der alten Werte erschreckend weit gekommen. Kurz vor Weihnachten überlässt er die kurdischen Verbündeten in Syrien plötzlich ihrem Schicksal, feuert mit Verteidigungsminister James Mattis den letzten Mahner am Kabinettstisch und steuert das Land kamikazemäßig in einen Haushaltsnotstand. Trump ist außer sich – wohl auch, weil er weiß, dass sich 2019 die Rahmenbedingungen verändern: Erstmals bietet dem Präsidenten nun eine demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus Paroli. Sonderermittler Mueller hat sich mit belastendem Material munitioniert. Und die Konjunktur beginnt zu stottern.

Doch zur Entwarnung gibt es keinen Anlass. Die bizarren Ausfälle des Präsidenten während der Feiertage, die weder den angesehenen Notenbankchef noch einen Siebenjährigen verschonten, den Trump wegen seines Weihnachtsmann-Glaubens verhöhnt, lassen das Gegenteil befürchten: Je größer der Widerstand, desto unberechenbarer dürfte der Wüterich im Weißen Haus werden.