Die CDU hat personell die Weichen gestellt. Ist Deutschland auf dem richtigen Weg oder hätten Sie sich jemand anderen an der Spitze der CDU gewünscht?

KARL-THEODOR ZU GUTTENBERG: Ich fand die Kandidatur von Friedrich Merz erfrischend. Der Prozess, wo nicht in Hinterzimmern Personalien festgelegt werden, hatte etwas Positives. Das hätte ich mir für die CSU auch gewünscht. Die neue Vorsitzende muss sich erst beweisen. Sie wächst in eine nicht sehr einfache Zeit hinein. Sie muss sich in die Herzen der Wählerschaft hineinarbeiten. Das wird nicht einfach sein.

Ist die CDU die letzte Volkspartei oder hat man in Österreich die Antwort auf die Krise der Volksparteien gefunden?

HARTWIG LÖGER: Der neuen ÖVP ist es gelungen, die Bevölkerung in ihrer Breite anzusprechen. Wir haben jene Themen angesprochen, die die Bevölkerung bewegen. So gesehen ist uns der Schritt schon gelungen.

Jens Spahn hat gemeint, Österreich ist nicht Vorbild, sondern Mahnung. Sehen Sie das auch so?

GUTTENBERG: Ich würde das Urteil so nicht fällen. In Österreich ist eine klug agierende Regierung im Amt. Das liegt an der stärkeren Partei, am Regierungschef, aber auch am Gegensatz zu der lähmenden Agonie einer Großen Koalition.

Wie sehen Sie die FPÖ?

GUTTENBERG: Es wäre jetzt nicht meine Partei. Wenn ich mir die Betrachtung von außen erlauben darf, sehe ich ein kohärentes Zusammenwirken und weniger Störfaktoren. Was zählt, ist das Ergebnis. Wenn das dazu führt, dass man sich irgendwann in der Mitte findet, muss es nicht das schlechteste aller Ergebnisse sein.

Ist eine Koalition der Union mit der AfD vorstellbar?

GUTTENBERG: Für die Union ist das in meinen Augen ausgeschlossen. Noch dazu gibt es andere Optionen in Deutschland. Wir haben eine AfD, in der sich einige Charaktere tummeln, die in einer politischen Landschaft nichts zu suchen haben, wo sich eine direkte Analogie mit der FPÖ nicht ergibt.

LÖGER: Man kann die beiden Parteien in keiner Weise vergleichen. Zwar kooperieren FPÖ und AfD auf europäischer Ebene, aber in der Regierungsarbeit erlebe ich eine unglaublich professionelle, konstruktive, gemeinsame Kooperation.

GUTTENBERG: Die AfD sieht sich als reine Opposition, mit aller Brachialgewalt, die sie an den Tag legen. Man muss sie offen inhaltlich bekämpfen und ihre Perfidie entlarven. Falsch wäre es, ihre Positionen zu übernehmen.

In der CSU wurden heute die Weichen gestellt. Reizt Sie nicht die Rückkehr in die Politik?

GUTTENBERG: Ich habe die Leidenschaft für die Politik nicht verloren, aber die Leidenschaft, was das politische Leben anbelangt, hat sich sehr relativiert. Das ist ein wichtiger Unterschied. Ich betrachte mit Spannung, was sich in der CSU tut. Die CSU muss sehr aufpassen, dass sie nicht zur Regionalpartei wird, dass sie ihren bundes- und europapolitischen Einfluss auf Dauer nicht zugunsten einer reinen München- oder Bayernerscheinung aufgibt. Hier muss sich der neue Parteichef erst beweisen. Bislang ist er einer, der noch nicht an die großen Parteichefs der CSU heranreicht. Ich sage das in aller Offenheit. Das intellektuelle und internationale Format eines Franz Josef Strauß oder eines Theo Waigel erreicht Markus Söder noch nicht.

War das eine Fehlentscheidung?

GUTTENBERG: Ich hätte mir Manfred Weber gewünscht, aber das ist in dem Spannungsfeld mit seiner EU-Kandidatur schwer möglich gewesen.

Die EU steckt in der Krise, siehe Brexit, Italien, Frankreich. Was läuft schief in Europa?

GUTTENBERG: Wir haben uns über Jahrzehnte an gewisse Traumbilder gewöhnt: Eines dieser Traumbilder war das Europa der gleichen Geschwindigkeiten, nur ist Europa heterogener denn je. Wir müssen uns von der ursprünglich angedachten Romantik verabschieden. Wir müssen uns in einigen Kernfragen vom Dogma der Einstimmigkeit verabschieden, etwa in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Sie wären für ein Kerneuropa?

GUTTENBERG: Das Wort „Kerneuropa“ hat etwas Exklusives. Ich bin sehr für ein Europa, das konzentrische Kreise hat. Das lässt den etwas „Kleineren“ mehr Spielräume.

LÖGER: Ich würde den Ansatz um das Prinzip der Subsidiarität ergänzen. Wir sollten definieren, welche Themen gesamtheitlich geregelt werden, welche national oder regional.

Sie leben in den USA. Wie erleben Sie Donald Trump? Haben die Europäer ein falsches Bild?

GUTTENBERG: Was seinen Charakter anbelangt, ist das negative Bild nicht unpassend. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Präsident wiedergewählt wird, ist aus heutiger Sicht wahrscheinlich höher als umgekehrt. Trump gerät zwar in einigen Punkten schnell unter Druck, aber gleichzeitig liefert er bei seiner „Kernwählerschaft.“ Er bedient sie emotional, ob mit der Art und Weise, wie er China den Ellenbogen zeigt, wie er sich gegenüber Mexiko verhält. Und dann handelt er doch einen Deal mit Kanada und Mexiko aus. Das sind so Punkte, wo er in den Augen seiner ihm teilweise brachial folgenden Wähler Wahlversprechen einhält. Die Anhänger sehen darüber hinweg, dass sie dreißig Mal am Tag angelogen werden, weil sie sagen: Wenigstens werden wir authentisch angelogen, weil er es macht und nicht die Medien.

Trump ist aber kein Vorbild für die österreichische Politik?

LÖGER: Ich will nur ergänzen, dass ich mit dem US-Finanzminister in engem Kontakt bin. Wir müssen in vielen Fragen die globale, gemeinsame Linie erhalten. Wir haben Themen, die wir auf OECD-Ebene weiterentwickeln. Ich orte durchaus konstruktive Ansätze.

Sie haben besondere Beziehungen zu Österreich?

GUTTENBERG: Ich bin einer Ihrer wenigen Doppelstaatsbürger. Ich habe eine österreichische Mutter. Von daher ist Österreich für mich auch ein Teil Heimat. In die Steiermark gibt es besondere Beziehungen, weil mein Bruder hier viele Jahre gelebt hat. Das ist der Ort, wo ich mehr als irgendwo anders zur Ruhe komme. Michael Jungwirth und Ingo
Hasewend