Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat Russland eine massive Truppenkonzentration an der Grenze vorgeworfen und vor einem drohenden Krieg gewarnt. Die russische Armee habe die Zahl der Panzer an ihren Stellungen entlang der Grenze verdreifacht, sagte Poroschenko am Dienstagabend zu mehreren ukrainischen Fernsehsendern. Er warnte vor der Gefahr eines "vollständigen Kriegs".

Ukrainische Soldaten in U-Haft

Nach der Konfrontation im Schwarzen Meer geht die russische Justiz gegen die 24 festgenommenen ukrainischen Marinesoldaten vor. Trotz internationaler Appelle zur Freilassung der Beschuldigten ordnete ein Gericht auf der Halbinsel Krim am Dienstag an, neun von ihnen für zwei Monate in Untersuchungshaft zu nehmen. Für Mittwoch sind weitere Anhörungen geplant. Das Gericht in der Krim-Stadt Simferopol warf den ukrainischen Soldaten vor, unerlaubt die Grenze nach Russland überquert zu haben, wie die Menschenrechts-Beauftragte auf der Krim, Ljudmila Lubina, der Nachrichtenagentur AFP sagte.

Die Anordnung der U-Haft gegen die ukrainischen Seeleute dürfte die Spannungen zwischen Moskau und Kiew weiter anheizen. Die ukrainische Regierung und ihre westlichen Verbündeten hatten an Russland appelliert, alle festgenommenen Marinesoldaten umgehend freizulassen.

Das russische Staatsfernsehen hatte am Montagabend Filmaufnahmen der Verhöre einiger ukrainischer Soldaten durch die russischen Sicherheitsdienste ausgestrahlt. Darin ist zu hören, wie einer der Befragten einen "provokativen Charakter" des ukrainischen Marineeinsatzes vor der Krim einräumt. Der ukrainische Marinekommandant Igor Worontschenko wies dies zurück. Er warf Russland vor, die Marinesoldaten unter Druck gesetzt zu haben.

Einer der verhafteten ukrainischen Marinesoldaten
Einer der verhafteten ukrainischen Marinesoldaten © AP

Geheimdienst

An Bord der festgesetzten Schiffe hielten sich auch Offiziere des ukrainischen Geheimdienstes auf. Gemäß Gesetz hätten sie den Seestreitkräften "nachrichtendienstlich" geholfen, teilte die Behörde in Kiew mit. Einer der Geheimdienstoffiziere sei vor der Festnahme von einer "ungelenkten Rakete" schwer verletzt worden.

Der militärische Zwischenfall hatte sich an der Straße von Kertsch ereignet, einer Meerenge zwischen der Krim und Russland, die das Schwarze Meer mit dem Asowschen Meer verbindet. Die Ukraine beschuldigt Russland, vor der Krim drei ihrer Marineschiffe beschossen und aufgebracht zu haben. 24 ukrainische Besatzungsmitglieder wurden festgenommen.

Kriegsrecht für 30 Tage

Der Kreml weist Kiew die Schuld an der Eskalation zu, da die ukrainischen Marineschiffe in "russische Gewässer" eingedrungen seien. Am Montagabend verhängte das ukrainische Parlament ein 30-tägiges Kriegsrecht in Teilen des Landes, das am Mittwoch in Kraft treten soll.

Ob nach dem Vorfall zwischen Russland und der Ukraine weitere Sanktionen gegen Russland erwogen werden, hänge vom genauen Sachverhalt ab, der auch durch die Auswertung von abgehörten Gesprächsbändern geklärt werden soll, sagte Außenministerin Karin Kneissl gegenüber der APA in Berlin, wo sie mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas (SPD) zusammengetroffen war. "Ich bin ein faktenbasierter Mensch", betonte Kneissl. Deshalb müsse zuerst der Sachverhalt geprüft werden. "Zu allererst müssen wir wissen, was passiert ist. Erst dann können wir prüfen, wie weiter fortgegangen wird."

Die jüngsten Spannungen im Asowschen Meer zeigten laut Maas deutlich, dass die Annexion der Krim durch Russland "auch ein Problem für die Sicherheit für uns alle in Europa" sei. "Deshalb sollte Russland die festgesetzten Schiffe und Seeleute schnellstmöglich wieder freigeben", forderte der Minister. Beide Seiten müssten jetzt ihren Beitrag zur Deeskalation leisten.

UNO besorgt

UN-Generalsekretär Antonio Guterres forderte die Konfliktparteien zu "äußerster Zurückhaltung" auf. Es müssten umgehend Maßnahmen zum "Abbau der Spannungen" eingeleitet werden, erklärte Guterres. Auch Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian rief beide Seiten zur "Deeskalation" auf.

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) mahnte ebenfalls zur Besonnenheit. Die Situation bereite ihr Sorgen, sagte von der Leyen in Berlin. Es komme nun darauf an, dass alle Seiten "mäßigend" auf die Kontrahenten einwirkten.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montagabend mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert und zu "Deeskalation und Dialog" aufgerufen. Putin äußerte in dem Gespräch nach Angaben des Kreml "ernste Sorge" angesichts der Verkündung des Kriegsrechts in der Ukraine. Er hoffe, dass Berlin die ukrainische Regierung "beeinflussen" könne, um diese von "künftigen unüberlegten Handlungen" abzuhalten.

Zugleich prangerte Putin in dem Telefonat "provokative Handlungen" Kiews an. Ukrainische Marineschiffe hätten eine "grobe Verletzung internationaler Rechtsnormen" begangen. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow sagte am Dienstag, die Verhängung des Kriegsrechts verursache eine "Eskalation der Spannungen in der Konfliktregion".

Öffentlich will sich Putin erst in den nächsten Tagen zu den neuerlichen Spannungen äußern. "Der Präsident wird dies tun, wenn er es für notwendig hält", sagte sein Sprecher. Es sei aber eine sehr ernste Angelegenheit für ihn. Eine Gelegenheit könnte sich am kommenden Wochenende beim G-20-Gipfel in Argentinien bieten.

Russland hatte die Krim 2014 annektiert, die EU hat deshalb Sanktionen verhängt. Estland forderte nun neue EU-Strafmaßnahmen gegen Russland. "Sanktionen sind der kraftvollste Weg, um Russland zu zeigen, dass wir es ernst meinen", sagte Verteidigungsminister Jüri Luik in einem Reuters-Interview. Allerdings müsse dies in der EU einstimmig beschlossen werden. Der polnische Präsident Andrzej Duda sagte, seine Regierung würde sich allen internationalen Initiativen zur Verstärkung der Sanktionen gegen Russland anschließen