Zwei Stunden nur, dann war alles vorbei. Die 27 verbleibenden Staats- und Regierungschefs hatten sich im „Europa“, dem neuen Teil des Ratsgebäudes im Brüsseler EU-Viertel, zur finalen Abstimmung eingefunden, und es gab keine Diskussionen mehr. Die britische Premierministerin Theresa May wurde zur Runde gebeten, dann verkündete Ratspräsident Donald Tusk per Kurznachrichtendienst Twitter, wie es neuerdings üblich ist, die historische Entscheidung: Der Brexit-Ausstiegsvertrag und die politische Deklaration, die den Rahmen für die künftige Zusammenarbeit vorgibt, wurden einstimmig angenommen. Großbritannien kann die Union verlassen.

In keinem der Statements, weder davor noch danach, fehlte der Hinweis auf die allgemeine Betrübnis, die damit verbunden ist. Schon in der Früh hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gesagt: „Wenn ein Mitglied die EU verlässt, stimmt mich das traurig und bringt mich nicht in Hochstimmung.“ Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte trug, Zufall oder nicht, eine schwarze Krawatte. Er stellte fest: „Niemand ist ein Gewinner, wir alle sind Verlierer.“ Auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sprach von „zwiespältigen Gefühlen und Trauer“.

Immer wieder betont wurde die Einheit der EU-27, auch, so berichtet ein hoher Diplomat, wenn das in letzter Sekunde aufgepoppte Geplänkel um Gibraltar für Unruhe gesorgt hatte: Es sei einfach nicht angebracht, gerade in Verbindung mit so weitreichenden Entscheidungen wie dem Brexit, nationale Interessen so hervorzukehren. Jedenfalls aber war es gelungen, bilaterale Übereinkünfte von Beginn an abzuwehren und so Stärke zu zeigen. Theresa May selbst bemühte sich schließlich in mantraartigen Satzwiederholungen, darauf hinzuweisen, dass der nun beschlossene Deal nicht nur der bestmögliche gewesen sei, sondern auch der einzig mögliche.

Wenn May das sagt, klingt das so: „Die besten Tage liegen noch vor uns.“ Das Vereinigte Königreich könne wieder selbst über seine Grenzen bestimmen, sein eigenes Migrationssystem entwickeln (nach dem Motto: nicht, wo jemand herkommt, ist die Frage, sondern, was er kann und ob wir es brauchen können). Sie sprach über ein neues Fördersystem für die Bauern, das Ende des Europäischen Gerichtshofes, ja: „Wir bekommen die Kontrolle über unser Geld zurück.“ Weit über 300 Millionen Pfund könnten fortan in die Verbesserung der Lebensumstände der Briten fließen – wöchentlich.

Alles steht und fällt mit den Briten selbst

Doch all das, ob umsetzbar oder nicht, hängt ohnehin an einem seidenen Faden. Die Frage, auf deren Beantwortung sich niemand einlassen will, lautet: Stimmt das britische Parlament dem vorliegenden Deal zu oder nicht (siehe rechts)? Die Union hat in Aussicht gestellt, notfalls die schon vereinbarte Übergangszeit bis Ende 2020 um ein oder sogar zwei Jahre zu verlängern, aber mehr Entgegenkommen scheint derzeit nicht mehr möglich.

Was wäre, wenn...?

Ratsvorsitzender Sebastian Kurz wollte sich ebenso wie die meisten anderen Gipfelteilnehmer nicht auf das „Was-wäre-wenn-Spiel“ einlassen; was wäre also, wenn der Brexitvertrag in London abgelehnt wird – was viele Beobachter zumindest jetzt für überaus wahrscheinlich halten. Im schlimmsten Fall würde das zum „harten“ Ausstieg ohne Vertrag führen. Österreich und die EU seien auf dieses Szenario jedenfalls vorbereitet, die Briten würden davon am stärksten betroffen sein. Klar und deutlich zog Kurz aber den Grenzstrich zu allfälligen weiteren Zugeständnissen: „Es wird sicher nicht nachverhandelt, es gibt keinen weiteren Spielraum.“

Diese Haltung könnte Theresa May durchaus dienlich sein, wenn sie nun zurück in ihrem Heimatland Werbung für den Deal macht. Ein paar Tage bleiben ihr Zeit. Die entscheidende Abstimmung im Unterhaus soll letzten Meldungen zufolge am 11. Dezember stattfinden, zwei Tage vor dem regulären Herbstgipfel in Brüssel. Ein zweites Referendum lehnte May auch gestern noch ausdrücklich ab. Völlig auszuschließen, so Insider, sei es dennoch nicht.