Der zurückgetretene Brexit-Minister Dominic Raab hat Premierministerin Theresa May schwache Verhandlungsführung vorgeworfen. May habe der EU nicht glaubwürdig damit gedroht, notfalls ohne Abkommen auszuscheiden.

"Wenn wir diesen Deal nicht zu vernünftigen Konditionen abschließen können, müssen wir sehr ehrlich sein mit dem Land, dass wir uns nicht bestechen und erpressen oder drangsalieren lassen und wir unserer Wege gehen werden", sagte Raab in einem Interview mit der "Sunday Times".

Großbritannien scheidet am 29. März 2019 aus der EU aus. Sollte bis dahin kein Abkommen unter Dach und Fach sein, drohen schwere wirtschaftliche Konsequenzen und Chaos in vielen Lebensbereichen.

Raab war im Streit um den Brexit-Entwurf zurückgetreten. Der ehemalige Brexit-Minister plädierte jetzt dafür, noch einmal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Er brachte sich damit indirekt als Nachfolger für May ins Spiel.

"Dunkle Mächte" in Brüssel

In Brüssel sind aus Raabs Sicht "dunkle Mächte" am Werk. So sei ihm von Diplomaten berichtet worden, innerhalb der EU-Kommission werde Nordirland als "Preis" bezeichnet, den London für den Brexit bezahlen müsse. Das sei "total unverantwortlich und rücksichtslos", sagte er. Dahinter stecke wohl der deutsche Martin Selmayr, Generalsekretär der EU-Kommission, der in britischen Medien als "Monster von Brüssel" bekannt ist. London dürfe sich von niemandem herumschubsen lassen, sagte Raab.

May verteidigte das Abkommen in einem Interview mit dem Nachrichtensender Sky News am Sonntag als "richtigen Deal", der im nationalen Interesse sei. Die Regierungschefin steht derzeit mächtig unter Druck. Eine Gruppe von Brexit-Hardlinern in ihrer eigenen Fraktion droht ihr mit einem Misstrauensvotum.

Die Schwelle für ein Misstrauensvotum gegen May dürfte jedoch noch nicht erreicht sein. Das sagte der Vorsitzende des für eine derartige Abstimmung verantwortlichen Komitees, Graham Brady, am Sonntag dem BBC Radio.

48 Abgeordnete von Mays konservativer Partei müssen dem Komitee schriftlich mitteilen, dass sie für ein Misstrauensvotum sind, um ein solches Verfahren einleiten zu können. Bisher haben sich mehr als 20 Politiker öffentlich dazu bekannt. Wie viele Briefe genau eingegangen sind, ist unklar.

Unterdessen drohten weitere Kabinettsmitglieder mit Rücktritt, sollte May nicht nachverhandeln. Die sogenannte Pizza-Gruppe innerhalb des Kabinetts um Andrea Leadsom, die eine Art Fraktionschefin der Konservativen ist, fordert Nachbesserungen am Backstop.

Entscheidung am 25. November

Mit Backstop werden die Bestimmungen im Austrittsabkommen bezeichnet, die garantieren sollen, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland geben soll. Der Entwurf sieht vor, dass Großbritannien für diesen Fall als Ganzes in der EU-Zollunion bleibt, bis beide Seiten entscheiden, dass dies nicht mehr notwendig ist. Doch die Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop, damit London eigene Handelsabkommen etwa mit den USA schließen kann. Es könne nicht sein, dass das Land dauerhaft in der Zollvereinbarung gefangen bleibe, sagte Leadsom am Samstag in einem BBC-Interview.

Am 25. November wollen die EU-Staats- und Regierungschefs über den Entwurf entscheiden. Vorher will sich May noch einmal mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass sich die EU auf substanzielle Nachverhandlungen einlässt.

Derzeit ist unklar, wie May das vorgelegte Abkommen durchs Parlament bekommen will. Die nordirische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängig ist, will den Deal nicht mittragen. Auch der Chef der oppositionellen Labour-Partei Jeremy Corbyn bekräftigte am Sonntag, dass seine Partei gegen das Abkommen stimmen wird. Als Mays einzige Chance gilt daher, Abweichler aus der Labour-Fraktion hinter sich zu bringen. Sollte sie scheitern, gilt selbst ein zweites Brexit-Referendum nicht als ausgeschlossen. Das wollte auch Corbyn am Sonntag nicht ausschließen.