Massiver Raketenbeschuss auf Israel und Luftangriffe der israelischen Armee im Gazastreifen schüren die Sorge vor einem neuen Krieg im Nahen Osten. Militante Palästinenser feuerten nach israelischen Armeeangaben seit Montag rund 400 Raketen und Mörsergranaten aus dem Gazastreifen auf Israel ab.

Es handle sich um die intensivsten Angriffe auf Israel seit dem Gaza-Krieg 2014, sagte der israelische Armeesprecher Jonathan Conricus am Dienstag. Als Reaktion darauf habe die israelische Armee mehr als 100 militärische Ziele angegriffen. Mindestens acht Menschen starben. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ergriff für Israel Partei.

Wie das palästinensische Gesundheitsministerium in Gaza mitteilte, wurden sieben Menschen getötet - allesamt militante Palästinenser, wie die entsprechenden Gruppierungen mitteilten. Zudem starb in der israelischen Stadt Ashkelon ein Mann, nachdem eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete in sein Haus eingeschlagen war. Bei ihm handelte es sich um einen Palästinenser, wie die Polizei mitteilte. Eine aus demselben Haus geborgene Frau schwebte in Lebensgefahr. Auf beiden Seiten gab es Verletzte. Das Abwehrsystem Iron Dome (Eisenkuppel) fing nach israelischen Armeeangaben mehr als 100 der Geschoße ab.

Die Bewohner des Gebiets an der Grenze zum Gazastreifen begaben sich in Schutzräume. Immer wieder ertönten Alarmsirenen. In vielen Gemeinden wurde der Schulunterricht ausgesetzt. Die Armee verstärkte ihre Raketenabwehr und brachte Panzer in Stellung.

Der militärische Arm der Hamas bekannte sich dazu, Raketen auf israelisches Gebiet abgefeuert zu haben. "Das gemeinsame Kommando palästinensischer Gruppen verkündet den Beginn von Bombardierungen von Siedlungen des Feindes mit einer großen Anzahl Raketen", erklärten die Ezzedin-al-Qassam-Brigaden.

Die Lage war eskaliert, nachdem der verdeckte Einsatz einer israelischen Spezialeinheit im Gazastreifen am Sonntag fehlgeschlagen war. Dabei waren sieben militante Palästinenser und ein israelischer Offizier getötet worden. Nach palästinensischen Angaben war unter den getöteten Palästinensern ein Kommandant der Kassam-Brigaden. Die Hamas hatte nach dem israelischen Einsatz vom Sonntag Rache geschworen.

Die israelische Armee teilte mit, der Einsatz der Spezialkräfte sei nicht wie geplant verlaufen. Bei einem "Schusswechsel" im Süden des Gazastreifens nahe der Stadt Khan Younis sei ein Oberstleutnant getötet und ein weiterer Offizier leicht verletzt worden. Eine Bodenoperation israelischer Soldaten im Gazastreifen ist ein seltener Vorgang. Der israelischen Armee zufolge nahmen die Soldaten an einer "Geheimdienstoperation" teil. Die Streitkräfte bestritten zugleich Angaben der Hamas, wonach bei dem Einsatz Palästinenser ermordet oder gefangen genommen werden sollten

Die neue Welle der Gewalt stellt Bemühungen Ägyptens, Katars und der UNO infrage, einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres rief in New York nach Angaben eines Sprechers alle Beteiligten zu äußerster Zurückhaltung auf. Der UNO-Sondergesandte Nickolay Mladenov, der sich seit Monaten um einen Waffenstillstand unter Vermittlung Ägyptens bemüht, sprach von einer "äußerst gefährlichen Eskalation".

Bundeskanzler Kurz forderte ein Ende des Raketenbeschusses gegen Israel und erklärte sich der Sicherheit Israels verpflichtet: "Raketenangriffe gegen Israel & seine Zivilbevölkerung sind sicher nicht der Weg, um auch nur eines der Probleme Gazas zu lösen & sie müssen umgehen aufhören", twitterte er. "Es ist von höchster Bedeutung, dass Zivilisten geschützt werden und die Gewalt umgehend gestoppt wird." Österreich "ist der Sicherheit Israels voll verpflichtet".

Das deutsche Auswärtige Amt zeigte sich alarmiert über die Lage im Süden Israels und im Gazastreifen. Auch Berlin verurteilte die Raketenangriffe auf Israel. "Es kann für diese Gewalt gegen unschuldige Zivilisten keine Rechtfertigung geben", sagte eine Sprecherin. "Wir haben immer deutlich gemacht, dass Israel das Recht hat, seine Sicherheit zu verteidigen und auf Angriffe angemessen zu reagieren."

Die Türkei verurteilte dagegen die israelischen Luftangriffe. Ibrahim Kalin, Sprecher des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sagte nach Angaben der Staatsagentur Anadolu am Dienstag, die Angriffe Israels seien "brutal" und gesetzeswidrig. "Israel muss diese Angriffe gegen das Volk von Gaza sofort stoppen. Die angesichts der Angriffe Israels schweigende internationale Gemeinschaft muss Verantwortung übernehmen und zur Tat schreiten."

Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) machte allein Israel für die Eskalation der Lage verantwortlich, wie es in einer Mitteilung hieß. Sie rief die internationale Gemeinschaft zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung auf.

Die israelische Armee attackierte nach eigenen Angaben Ziele der im Gazastreifen herrschenden Hamas sowie der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Jihad. Unter anderem seien Waffenlager und unterirdische Infrastruktur getroffen worden, sagte Conricus. Darüber hinaus seien vier große Gebäude der Hamas getroffen worden, darunter der Sitz des Fernsehsenders Al-Aksa (Al-Aqsa), ein Gebäude der Hamas-Sicherheitskräfte in Gaza sowie eine Einrichtung des Militärgeheimdienstes.

Ein Sprecher der Hamas-Miliz drohte mit neuen Angriffen auf weiter entfernte israelische Ziele. Die radikalislamische Palästinenserorganisation forderte eine internationale Untersuchung der israelischen Angriffe "auf zivile Einrichtungen".

Israels Sicherheitskabinett kam am Vormittag zusammen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Am Nachmittag berichteten israelische Medien, die Regierung habe Gespräche mit Ägypten und den Vereinten Nationen über eine Waffenruhe abgebrochen.

Nach israelischen Informationen verfügt die Hamas über ein Arsenal von rund 20.000 Raketen und Mörsergranaten verschiedener Reichweite. Einige davon könnten die größten israelischen Städte Tel Aviv und Jerusalem erreichen und sogar Ziele darüber hinaus, sagte Conricus.

Die Hamas wird von Israel, den USA und der EU als Terrororganisation eingestuft. Israel hat vor mehr als zehn Jahren eine Blockade über das Küstengebiet verhängt, die von Ägypten mitgetragen wird. Beide Länder begründen dies mit Sicherheitsinteressen. Im Gazastreifen leben rund zwei Millionen Menschen unter schwierigen Bedingungen. Es mangelt unter anderem an Trinkwasser und Strom.