Sie schreiben in Ihrem neuen Buch „Mit dem Koran ist kein Staat zu machen“, dass die sogenannte Jasminrevolution in Tunesien 2010/2011 gar keine so sanfte Revolution war. Inwiefern?


Gerhard Weinberger: Das Entscheidende an diesem Umsturz war ja, dass nicht jene, die die Revolte angezettelt haben, den politischen Profit herausholen konnten. Das politische Kleingeld kassierten die Islamisten, die gar nicht so aktiv am Umsturz beteiligt waren.


Sie üben scharfe Kritik am Koran. Was stört Sie so?
Weinberger: Der große französische Philosoph Blaise Pascal hat die Unterschiede zwischen Jesus und Mohammed sinngemäß so erklärt: Der eine forderte seine Jünger auf, notfalls auch zu sterben, aber Mohammed forderte seine Jünger auf, notfalls auch zu töten. Das Entscheidende ist dieser nicht überwundene absolutistische, intolerante Umgang mit den Andersdenkenden. Das ist für mich das größte Problem am Koran.


In Tunis gibt es mit Souad Abderrahim erstmals eine Bürgermeisterin: Ist das ein Hoffnungsschimmer oder nur Makulatur?


Weinberger: Diese Bürgermeisterin ist in der Tat ein Hoffnungsschimmer. Es ist ein gutes Zeichen, dass diese Dame sich das traut, dass sie gewählt wurde, und dass ihre Ennahda-Partei das überhaupt zugelassen hat.


Auf der einen Seite gibt es die modernen, moderaten Kräfte in Tunesien, andererseits rekrutiert der IS im Hinterland nach wie vor erfolgreich junge Kämpfer. Wie geht das zusammen?


Weinberger: Dort ist ja nicht nur der IS aktiv, im Hinterland ist auch Al Kaida stark. Klar ist, dass außerhalb der Städte, im Norden und im Süden, die Tendenz zu einem konservativen Lebensstil stark geblieben oder wieder stark geworden ist. Es gibt diese zwei Tunesien: Das moderne, nach außen gerichtete, und das konservative.


Welche Rolle spielt die hohe Jugendarbeitslosigkeit?


Weinberger: Die soziale Situation, vor allem bei Männern, ist eine gute Rekrutierungsmöglichkeit für Al Kaida und IS. Diese Jungen sind anfällig für Organisationen, die ihnen nicht nur materiell etwas bieten, sondern sie auch psychisch aus ihrem Loch herausholen und ihnen suggerieren, dass sie wer sind.


Worauf muss Europa achten?


Weinberger: Nicht nur erzkonservative Kräfte, auch die Korruption feiert in Tunesien fröhliche Urständ’. Da kommen auch die alten Seilschaften aus der Ben-Ali-Zeit zurück, da werden Geschäfte im alten Stil gemacht. Das halte ich momentan für eine wirklich große Gefahr. Europa wird keine Wunder bewirken können, aber es sollte jene Kräfte unterstützen, die dagegen ankämpfen.