Mit einem Paukenschlag hat der letzte Parteitag der britischen Konservativen vor dem Austritt Großbritanniens aus der EU begonnen. Boris Johnson, bis zum Sommer Theresa Mays Außenminister, hat der Premierministerin vorgeworfen, einen „geistesgestörten“ Brexit-Plan ausgeheckt zu haben. Im Interview mit der „Sunday Times“ sagte Johnson, May glaube gar nicht wirklich an den Brexit. Tatsächlich hatte sie beim Referendum 2016 noch für den Verbleib in der EU gestimmt. „Anders als die Premierministerin bin ich für Brexit zu Felde gezogen“, sagte Johnson. „Im Unterschied zu ihr habe ich dafür gekämpft.“

„Vollkommen widersinnig“, ja geradezu „geistesgestört“ nannte Johnson den „Chequers-Plan“ der Regierungschefin, der weitere Koordination mit gewissen EU-Vorschriften ohne Zugehörigkeit zu Binnenmarkt oder Zollunion vorsieht. Zuvor hatte Johnson erklärt, Mays Plan werde zur „politischen und wirtschaftlichen Katastrophe“ führen, weil er nicht nur dem Austritt zustimme, sondern zulasse, „dass die EU uns weiter am Gängelband führt“.

"Jetzt herrscht Krieg"

Empört wandte sich May gegen Johnsons Vorwurf, sie handle nicht im nationalen Interesse. „Ich glaube sehr wohl an den Brexit“, verteidigte sie sich. Bei ihren Verhandlungen ziele sie auf den bestmöglichen Brexit-Deal für Großbritannien - auf einen Deal, mit dem London keinen „Zerfall des Königreichs“ riskiere. Offen ließ May, ob sie der EU nach dem Parteitag mit weiteren Zugeständnissen entgegenkommen wird. „Boris vs May - jetzt herrscht Krieg“, charakterisierte die „Sunday Times“ den Stand der Dinge in der Tory-Partei. Tatsächlich gerät May, seit die EU ihren Plan abgelehnt hat, zunehmend unter Druck. Die Brexiteers der Parteirechten fordern, dass sie umschwenkt auf einen „härteren“ Brexit, auf ein reines Freihandelsabkommen ohne Rücksicht auf die irische Grenze und Nordirland.

Auch mehrere Minister wie der neue Außenminister Jeremy Hunt sind einem solchen Kurswechsel angeblich zugeneigt. Immer mehr Top-Tories befürchten, dass sich die Partei- und Regierungschefin in eine Sackgasse manövriert hat und dass sie ihren Landsleuten insgesamt wenig Perspektive bietet. Das hebt sich scharf ab vom Labour-Parteitag vorige Woche, der sich relativ einig zeigte und ein umfassendes Reform-Programm präsentierte.

"Großbritanniens Trump"

Eine Gruppe von annähernd 60 Hardlinern versucht May noch immer von allem Kompromiss mit der EU abzuhalten - und hat bereits angedroht, in der Fraktion die Vertrauensfrage zu stellen. Wie viel Konservative Johnson freilich als geeigneten Nachfolger betrachten, weiß niemand genau.

Johnsons Ex-Vize im Außenministerium, Sir Alan Duncan, spottete, Johnson irre sich, wenn er glaube, er könne „Großbritanniens Trump“ werden: „Je öfter er wiederholt, was für jedermann offenkundig unglaubwürdig ist, desto mehr verschwindet seine eigene Glaubwürdigkeit.“

Ex-Brexit-Minister David Davis mahnte Mitrebellen, das Ringen um den Kurs nicht zum Austragen persönlicher Rivalitäten zu nutzen. Es gehe nicht um die Führung. Gegen „Chequers“ oder einen „weicheren“ Brexit, bestätigte der vormalige Brexit-Unterhändler, würde er aber unbedingt stimmen: „Wenn die Regierung auf ihrem Plan beharrt, verliert sie diese Abstimmung im Parlament.“

"Im  Notfall zweites Referendum"

Umgekehrt haben proeuropäische Tories zuletzt vermehrt beteuert, sie würden es weder May noch der Parteirechten erlauben, einen „harten“ Brexit durchzudrücken oder die Verhandlungen ganz scheitern zu lassen. Sie wisse von „rund 40“ gleichgesinnten Tory-Abgeordneten, die sich im Unterhaus wie sie gegen eine radikale Abkoppelung oder eine „No-Deal“-Situation auflehnen würden, sagte Ex-Innenministerin Amber Rudd. Mehrere Tories haben angekündigt, dass sie im Notfall einem zweiten Referendum zustimmen würden.