Der Regen prasselte unaufhörlich auf das US-Senatsgebäude am Capitol Hill in Washington D.C., in dem sich Montag Abend (Ortszeit) eine Seltenheit zugetragen hatte. In einem ungewöhnlichen Anflug von Überparteilichkeit hatte der Senat ein Gesetzespaket für den Kampf gegen die Opiod-Krise beschlossen. Doch die zahlreichen Reporter, die im Keller des Gebäudes warteten, interessierte dieser Beschluss nicht. Sie machten Jagd auf die Senatoren, die aus den Untergrundbahnen stiegen und zur Abstimmung eilten. Mit unzähligen Aufnahmegeräten im Gesicht wurde jeder von ihnen mit den gleichen Fragen konfrontiert: „Was sagen Sie zur Causa Kavanaugh? Muss er gehen? Soll er den Job dennoch bekommen?“

In Washington dreht sich derzeit alles um eine Person: Bundesberufungsrichter Brett Kavanaugh. Geht es nach US-Präsident Donald Trump, dann soll er (auf Lebenszeit) Richter am Obersten Gericht und damit einer der mächtigsten Entscheider in Washington werden. Trumps Wahl sorgte für Aufsehen, gilt der erzkonservative Kavanaugh doch als Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen und gleichgeschlechtlicher Partnerschaft. Doch seit gestern (Ortszeit) ist der Jurist mit größeren Problemen konfrontiert.

Versuchte Vergewaltigung

Die Psychologin und Professorin Christine Blasey Ford erhebt schwere Vorwürfe gegen ihn, die bereits mehr als 30 Jahre zurückliegen. Der damals 17-jährige Kavanaugh und ein Freund von ihm – offenbar beide betrunken - hätten Ford damals bei einer Teenager-Party in ein Schlafzimmer gedrängt. Kavanaugh habe sich auf die damals 15-jährige Ford gelegt und versucht, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Als sie schrie, soll er ihr den Mund zugehalten haben, der anwesende Freund soll ihn angefeuert haben. Weil beide Burschen offenbar stark betrunken waren, habe sich Ford losreißen und fliehen können. Heute sprechen sie und ihre Anwältin Debra Katz von versuchter Vergewaltigung.

Katz ließ bald nach Bekanntwerden der Vorwürfe wissen, dass ihre Mandantin bereit wäre, dazu öffentlich befragt zu werden. Auf die Frage, ob Ford politische Motive hinter ihren Aussagen haben könnte, antworte Katz trocken: „Niemand, der bei Verstand ist, würde sich das antun, was meiner Mandantin jetzt an Herabwürdigung blüht.“ Zudem berichtete die Zeitung "Washington Post", dass sich Ford Anfang August freiwillig einem Lügendetektor-Test unterzogen habe. Der Test, der von einem FBI-Beamten durchgeführt worden sei, soll ihre Anschuldigung als glaubhaft bestätigt haben.

Fall erinnert an 1991

Der Justizausschuss fackelte nicht lange und bestellte Ford und Kavanaugh zu einer Anhörung am kommenden Montag ein. Sogar zahlreiche Senatoren aus Trumps Partrei sprachen sich an diesem Abend, umringt von den Reportern im Senat, dafür aus, die Frau anzuhören. Allen voran der republikanische Vorsitzende des Justizausschusses, Chuck Grassley: "Jeder, der aus der Deckung kommt, wie Dr. Ford es getan hat, verdient es, angehört zu werden“, erklärte er. Kavanaugh, der bei seinem Hearing vor dem Justizausschuss unter Eid ausgesagt hatte, niemals jemanden sexuell belästigt zu haben, bestreitet die Vorwürfe.

Dass die Republikaner vorsichtig sind und Ford anhören wollen, liegt auch an den Ereignissen aus dem Jahr 1991. Damals beschuldigte eine frühere Mitarbeiterin den Richter Clarence Thomas, der ebenfalls für das Oberste Gericht nominiert wurde, der sexuellen Belästigung. Die Mitarbeiterin, Anita Hill, wurde öffentlich verhört, der Falschaussage bezichtigt und von den Republikanern herab gewürdigt. Thomas wurde dennoch für das Amt bestätigt, die damaligen Anhörungen haben der Partei aber massiv geschadet.

Anhörung wackelt

Am späten Dienstagabend (Ortszeit) flackerten dann erneut die Worte "breaking news" über die US-Bildschirme. Ford hatte über ihre Anwälte ausrichten lassen, dass sie erst dann aussagen wolle, wenn das FBI Ermittlungen im 36 Jahre zurückliegenden Fall anstellen wird. Damit wackelt die Anhörung am Montag, denn eine Untersuchung des Falles könnte Wochen in Anspruch nehmen. Ob die Republikaner nun ohne Fords Aussage weitermachen wollen, ist noch unklar.

Trump: "Einer der feinsten Menschen"

Trump selbst zeigte sich davon bisher unbeeindruckt. Kavanaugh sei „einer der feinsten Menschen, die ich je kennengelernt habe“. Das Hearing stelle lediglich eine „kleine Verzögerung“ seiner Ernennung dar. Der Präsident sprach sich zudem gegen eine FBI-Untersuchung der Vorwürfe aus. Dennoch: Auch er sprach sich am Mittwoch Vormittag (Ortszeit) für eine Anhörung von Ford aus.

Die Republikaner könnten – mit ihrer hauchdünnen Mehrheit im Senat – Kavanaugh trotz allem durchboxen. Dafür bräuchte es aber geschlossene Reihen und diese sind aktuell alles andere als sicher. Liberale Republikanerinnen haben bereits Misstrauen gegenüber Kavanaugh durchklingen lassen. Sollte die Anhörung am Montag stattfinden, wird sie live im US-TV übertragen.