Nach der kritisierten Äußerung von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen zu den Vorfällen in Chemnitz hat das Bundesamt betont, dazu derzeit alle zugänglichen Informationen zu überprüfen. "Die Prüfung insbesondere hinsichtlich möglicher "Hetzjagden" von Rechtsextremisten gegen Migranten wird weiter andauern", teilte das Amt in einer am Freitagabend im Internet veröffentlichten Erklärung mit.

Maaßen hatte zuvor die Authentizität eines dazu kursierenden Videos in Zweifel gezogen und wurde deswegen vielfach kritisiert. Dabei geht es um Übergriffe bei den Chemnitzer Protesten, die durch den Totschlag an einem Deutschen ausgelöst wurden. Zwei Tatverdächtige, die als Asylbewerber nach Sachsen gekommen waren, sitzen in Untersuchungshaft, ein dritter wird gesucht. In den vergangenen Tagen war eine Diskussion entstanden, ob es sich um "Hetzjagden" gehandelt hat - ein Begriff, den sich neben anderen zunächst auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu eigen gemacht hatte.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erklärte nun, in Chemnitz habe es eine hohe Emotionalisierung und schnelle Mobilisierung gegeben, die sich auch Rechtsextremisten zu eigen gemacht hätten. "Die sozialen Medien spielten auch hier für die Mobilisierung und die individuelle Meinungsbildung eine große Rolle. Gerade dort finden sich aber immer wieder Fake-News und Versuche der Desinformation", erklärte Maaßens Behörde. "Das BfV prüft alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, um zu einer belastbaren Einschätzung der Ereignisse zu kommen."

Das Amt hielt zudem fest, dass die Zunahme gewaltorientierter Rechtsextremisten und ihres Gewaltniveaus "besorgniserregend" sei und Maaßen wiederholt darauf hingewiesen habe. Weiter hieß es auch: "Angesichts der vielfältigen Versuche der Instrumentalisierung der Ereignisse ist es wichtig, eine deutliche Grenze zu ziehen zwischen legitimem demokratischen Protest und einem Abdriften hin zu Gewalt und politischem Extremismus."

Breite Kritik

Der deutsche Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen hat Zweifel an Berichten über Hetzjagden während der Demonstrationen in Chemnitz geäußert und stößt damit auf breite Kritik. SPD, Grüne, Linke und FDP zeigten sich am Freitag empört. Auch Rücktrittsforderungen wurden laut.

"Die Skepsis gegenüber den Medienberichten zu rechtsextremistischen Hetzjagden in Chemnitz werden von mir geteilt", sagte Maaßen zur "Bild"-Zeitung (Freitagsausgabe). Dem Verfassungsschutz lägen "keine belastbaren Informationen darüber vor, dass solche Hetzjagden stattgefunden haben".

Über das Video, das Jagdszenen auf Menschen mit Migrationshintergrund nahe des Johannisplatzes in Chemnitz zeigen soll, sagte Maaßen: "Es liegen keine Belege dafür vor, dass das im Internet kursierende Video zu diesem angeblichen Vorfall authentisch ist." Nach seiner vorsichtigen Bewertung sprächen gute Gründe dafür, dass es sich "um eine gezielte Falschinformation" handle, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken.

Bundestagsvizepräsident hat kein Verständnis

Der deutsche Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann sagte, er habe für die Äußerungen von Maaßen kein Verständnis. Der Verfassungsschutz-Präsident sorge im Augenblick für Verwirrung. "Wir haben Bilder gesehen, wir haben Zeugen gehört, wir haben gesehen, wie Menschen da den Hitler-Gruß offen auf der Straße gezeigt haben", sagte Oppermann im Deutschlandfunk. Auch der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Burkhard Lischka, sprach angesichts von Medien- und Augenzeugenberichten von einer "ziemlich steilen These". "Als Präsident des Bundesverfassungsschutzes sollte sich Herr Maaßen nicht an wilden Spekulationen beteiligen, sondern schnellstens Fakten auf den Tisch legen", sagte er dem "Handelsblatt".

Ausschreitungen in Chemnitz
Ausschreitungen in Chemnitz © (c) AFP (ODD ANDERSEN)

Linken-Chefin Katja Kipping sagte, Maaßen sei in seinem Amt nicht mehr haltbar und müsse entlassen werden. "Anstatt die Verfassung zu verteidigen, gibt Maaßen den AfD-Versteher und missbraucht die Autorität seines Amtes, um jenen eine Unbedenklichkeitsbescheinigung auszustellen, die in Chemnitz den Hitlergruß zeigten und zum Töten von Menschen aufriefen."

FDP: Nicht die Öffentlichkeit verunsichern

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt bezeichnete Maaßen und den deutschen Innenminister Horst Seehofer als Fehlbesetzungen. Allein die Tatsache, dass sich Maaßen nur zu einem Video, aber nicht zu den Gewalttaten und dem öffentlichen Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen in Chemnitz äußere, zeige, dass Maaßen seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werde. Auch der FDP-Abgeordnete Konstantin Kuhle sagte im "Handelsblatt", Maaßen müsse die Gründe benennen, die für eine Falschinformation sprächen und nicht die Öffentlichkeit verunsichern.

Maaßen steht derzeit auch wegen Kontakten zur AfD in der Kritik. Er soll sich mehrfach mit der früheren Vorsitzenden Frauke Petry getroffen haben. Es steht der Vorwurf im Raum, Maaßen habe ihr dabei Ratschläge gegeben, wie sie eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz vermeiden könne. Medienberichten zufolge soll Maaßen zudem versucht haben, den Einsatz eines V-Mannes im Umfeld des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zu verschweigen.

Rückendeckung aus Sachsen

Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) stellte sich dagegen hinter Maaßen. Er verwies im MDR darauf, dass ebenso der Generalstaatsanwalt in Sachsen keinerlei Erkenntnisse habe, dass es sich um Hetzjagden gehandelt habe. Auch Ministerpräsident Michael Kretschmer hatte am Mittwoch in einer Regierungserklärung gesagt: "Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd, es gab kein Pogrom in Chemnitz." Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Regierungssprecher Steffen Seibert hatten dagegen vergangene Woche sehr wohl von Hetzjagden gesprochen und diese verurteilt.

Nach der Tötung eines Deutschen vor knapp zwei Wochen war es in Chemnitz zu einer Reihe von Aufmärschen rechter Gruppen sowie zu rassistisch motivierten Ausschreitungen gekommen. Wegen der Tat sitzen zwei Asylbewerber in Untersuchungshaft. Nach einem dritten Tatverdächtigen, einem Iraker, wird gefahndet.

Auch die Kritik an Innenminister Seehofer, der die Migration als "Mutter aller politischen Probleme in diesem Land" bezeichnet hat, hält an. "Wenn Horst Seehofer so etwas sagt, zeigt er, dass er den Anforderungen für das Amt des Innenministers nicht genügt", sagte Oppermann. Er sei der falsche Mann in diesem Amt und als Verfassungsminister eine Zumutung. Seehofer rede wie ein AfD-Mann und diffamiere mit seinen Äußerungen die etwa 20 Millionen Deutschen, die einen Migrationshintergrund hätten.