EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat die Mitgliedstaaten eindringlich vor Egoismus in der Flüchtlingspolitik gewarnt und CDU und CSU zur Verständigung bei diesem Streitthema aufgerufen. Der Umgang mit der Zuwanderungsfrage dürfe nicht zur Zerstörung der Europäischen Union führen, sagte Tajani den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

"Handelt jeder Mitgliedstaat nur nach eigenen Interessen, wird die Gemeinschaft auseinanderbrechen." Mit Blick auf den Streit der Koalitionspartner CDU und CSU sagte der Italiener, Migration sei kein rein deutsches Problem. "Wir müssen eine europäische Lösung finden, ohne auf die nächsten Regionalwahlen zu schielen." Er hoffe sehr, dass CDU und CSU zu einer Verständigung in der Flüchtlingspolitik fänden.

"Europäische Strategie"

Es könne jetzt nicht um nationale Lösungen gehen. "Wir brauchen eine europäische Strategie", sagte der Parlamentspräsident. Daher sei es sehr wichtig, dass beim EU-Gipfel in der kommenden Woche "endlich Entscheidungen fallen", die dann auch unverzüglich umgesetzt werden müssten. "Europa muss entschlossen handeln - und das sofort!"

Tajani sprach sich gegen Maßnahmen an den Binnengrenzen aus. "Die Lösung liegt außerhalb, nicht innerhalb der Europäischen Union. Wir müssen die Außengrenzen wirkungsvoll schützen. Und wir müssen mehr in Afrika investieren, um Fluchtursachen zu bekämpfen."

Seehofer warnt Merkel

Im Unions-Streit um die deutsche Flüchtlingspolitik hat Innenminister Horst Seehofer (CSU) Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterdessen erneut davor gewarnt, ihn durch ihre Richtlinienkompetenz an seinem Vorhaben zu hindern. "Das werden wir uns auch nicht gefallen lassen", sagte Seehofer im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung".

Das Kanzleramt habe wegen seines Plans, Flüchtlinge an der Grenze abzuweisen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert sind, "aus einer Mücke einen Elefanten gemacht". Es sei "höchst ungewöhnlich, gegenüber dem Vorsitzenden des Koalitionspartners CSU mit der Richtlinienkompetenz zu drohen", sagte Seehofer.

Auch in der Sache legte der Innenminister nach. Seine Haltung sei klar, sagte er. Wenn der EU-Gipfel "keine wirkungsgleichen Lösungen" bringe, würden Migranten, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, zurückgewiesen, sagte Seehofer.

Kurz denkt an Flüchtlingslager

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat unterdessen in der deutschen "Bild"-Zeitung seinen Appell erneuert, die Diskussion über eine Flüchtlingsverteilung zu beenden. Zugleich bekräftigte er seine Pläne für einen stärkeren Schutz der EU-Außengrenzen: "Wir müssen verhindern, dass Boote überhaupt noch nach Europa kommen", so Kurz.

Er bestätigte die Angaben des dänischen Ministerpräsidenten Lars Lökke Rasmussen, dass man an Flüchtlingslagern außerhalb der Europäischen Union arbeite. "Ich werde jetzt kein Land nennen, aber richtig ist, dass wir unter anderem mit Dänemark bereits an Schutzzonen arbeiten, wo wir außerhalb der EU Schutz und Versorgung organisieren wollen."

Der dänische Ministerpräsident erklärte in der "Bild"-Zeitung , er rechne nicht damit, dass der Migrationsgipfel am Sonntag in Brüssel einen Durchbruch bringen wird. "Wir brauchen definitiv mehr als ein Treffen. Nicht unbedingt, um uns auf etwas zu verständigen, aber um eine Lösung umzusetzen", sagte Rasmusse. An dem informellen Arbeitstreffen, zu dem EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geladen hat, wollen 16 EU-Staaten teilnehmen.

Bilaterale Abkommen

Merkel (CDU) will bilaterale Abkommen erreichen, damit Migranten an den Grenzen zurückgeschickt werden können, wenn sie bereits in einem dieser Länder registriert wurden oder einen Asylantrag gestellt haben. Sollte dies nicht gelingen, will Innenminister Horst Seehofer (CSU) Flüchtlinge im nationalen Alleingang zurückschicken lassen.

Dazu sagte Rasmussen: "Wenn ich mir die deutsche Politik ansehe, dann habe ich den Eindruck, dass es jetzt eine Bereitschaft gibt, das Problem in einer viel weiteren Perspektive zu diskutieren, als nur Umverteilung." Weiters sagte er: "Statt weiter in diesem Loch zu graben, sollten wir uns über die Gründe und über die externe Dimension unterhalten." Darum arbeite Dänemark zusammen mit Österreich und anderen Staaten an Flüchtlingslagern "außerhalb der Europäischen Union".