Wovon Wolfgang Schüssel während seiner siebenjährigen Kanzlerschaft stets geträumt, wird Sebastian Kurz nicht einmal sechs Monate nach Übernahme der Kanzlerschaft zuteil: eine Einladung zu einem offiziellen Besuch nach Israel. Aus Rücksicht auf den Sabbat landet der Kanzler an der Spitze einer 50-köpfigen Wissenschaft-, Kultur-, Journalistendelegation erst am Sonntag nach Mitternacht in Tel Aviv. Am Montag trifft Kurz Israels Premier Benjamin Netanjahu, am Dienstag Präsident Reuven Rivlin. Vorgesehen sind Besuche im Holocaust-Mahnmal von Yad Vashem. eine Kranzniederlegung am Grab von Shimon Peres, Treffen mit den Überlebenden Shoa sowie eine Visite im Herzl-Museum.

Mit dabei Bildungsminister Heinz Faßmann, Oskar Deutsch,  der Präsident der Israelischen Kultusgemeinde, Danielle Spera, die Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, Martin Engelberg, der einzige Abgeordnete mit jüdischen Wurzeln im Nationalrat, Hannah Lessing, die Generalsekretärin des Nationalfonds, Markus Müller, der Chef der Med-Uni,  Polit-Berater Daniel Kapp oder der Chef der Fachhochulkonferenz RaimundRibitsch. 

Botschafterin musste nicht Koffer packen

Unter Schwarzblau wurde das erste Regierungsmitglied, Staatssekretär Franz Morak, erst nach zwei Jahren in Israel empfangen, Außenministerin Benita Ferrero-Waldner musste drei Jahre warten. Fast vier Jahre lang war Israel nur durch einen Geschäftsträger in Wien vertreten. Talya Lador-Fresher, die aktuelle Botschafter, musste zu Weihnachten nicht die Koffer packen, sondern tummelt sich weiter auf dem diplomatischen Wiener Parkett. Anders als im Jahr 2000 wurde diesmal nicht die ganze Regierung, sondern nur die blauen Mannschaft unter politische Quarantäne gestellt – so auch Außenministerin Karin Kneissl, obwohl sie nicht der FPÖ angehört.

„Das politische Umfeld ist ein völlig anderes“, erklärt ein Insider, der die Entwicklung aus der Nähe verfolgt. „2000 verhängte die ganze EU Sanktionen gegen die Regierung, jetzt haben die Europäer nicht einmal mit dem Ohrwaschl gerührt.“ Eine nicht unerhebliche Rolle habe auch Premier Netanjahu gespielt, der im Unterschied zu manchen Hardlinern im israelischen Außenministerium für einen Mittelweg und eine Politik der offenen Türen plädiert habe. Netanjahu und Kurz kennen sich, schätzen einander und gehören derselben politischen Familie an. Die Israelitische Kultusgemeinde in Wien nimmt fast die idente Differenzierung vor – Kurz ist ein höchst willkommener Gast, Heinz-Christian Strache bleibt der Paria. Das Liebäugeln des FPÖ-Chefs mit dem Verlegen der österreichischen Botschaft nach Jerusalem – nach dem Vorbild der Amerikaner unter Donald Trum – beeindruckt nicht. Ein paar symbolischen Gesten reichen offenbar nicht für eine neue Vertrauensbasis aus.

Kein Besuch in Ramallah

Dass die Koalitionsregierung Vorleistungen gegenüber Israel erbringt, nutzt Kurz, hilft Strache aber nicht. Erstmals wird Israel in einem Koalitionsabkommen als „jüdischer Staat“ anerkannt. Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht soll auf die Nachfahren der Holocaust-Überlebenden ausgedehnt werden, im Zentrum von Wien soll eine Holocaust-Gedenkmauer errichtet werden. Kurz setzt in Israel noch eines drauf: Anders als sonst besucht er nur Jerusalem und verzichtet auf einen Abstecher zu den Palästinensern in Ramallah. Im Kanzleramt wird als Erklärung nachgereicht, die Reise stehe ganz im Zeichen des Gedenkjahres.

Dass das offizielle Israel gegenüber der FPÖ andere Töne anschlägt als gegenüber anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa, liegt an unserer Historie. Bis in die achtziger Jahre hatte sich Österreich durch die dunklen Schatten der eigenen Geschichte gemogelt und unter dem Denkmantel des Opfermythos die Gräuel österreichischer Mittäter unter den Teppich gekehrt. Die Waldheim-Affäre setzte der österreichische Nachkriegslüge ein schmerzhaftes Ende.

"Die guten und die bösen Taten"

Es blieb Kanzler Franz Vranitzky sowie dem späteren Bundespräsidenten Thomas Klestil vorbehalten, in denkwürdigen Reden die überfällige Katharsis in Worte zu kleiden und den Selbstbetrug zu demaskieren. Vranitzky legte 1991 in Nationalrat sowie 1993 an der Hebräischen Universität in Jerusalem ein Bekenntnis „zu allen Taten unserer Geschichte, zu den guten wie zu den bösen“ ab. „Und so wie wir die guten für uns in Anspruch nehmen, haben wir uns für die bösen zu entschuldigen – bei den Überlebenden und bei den Nachkommen der Toten.“ Bundespräsident Klestil verwies 1995 in seiner Ansprache vor der Knesset auf das „schweren Erbe der Geschichte, zu dem auch wir Österreicher uns bekennen müssen.“ In dieser Tradition will Kurz am Montag vor der American Jewish University einige Überlegungen anstellen.


Mit keinem anderen Land der Erde unterhält Österreich so wechselhafte Beziehungen wie mit Israel. Selbst wenn alle Differenzen ausgeräumt sind, keine ambivalenten Vorgänge die Beziehungen trüben, bleibt es immer eine spezielle Freundschaft – wegen der dunklen Flecken der jüngeren Vergangenheit.