Franjo Komarica ist ein mutiger Mann. Der Bischof des Bistums Banja Luka im Norden Bosniens weigerte sich im Balkan-Krieg, seine Kirche zu verlassen, und setzte sein Leben aufs Spiel. Sieben Monate verbrachte der Geistliche in einer serbischen Todeszelle. Seinem Widerstandsgeist ist es zu verdanken, dass die katholische Kathedrale entgegen den Plänen der Besatzer unversehrt blieb. Sie hätte 1995 als letztes Gotteshaus in die Luft gesprengt werden sollen, als barbarischer Schlusspunkt einer Zerstörungsorgie, der Hunderte Pfarren, Kirchen und Klöster zum Opfer fielen. Geistliche wurden verschleppt und ermordet. Das Ziel war der ethnisch reine Landstrich, und ethnisch rein hieß immer auch konfessionell rein. Die katholischen Christen waren das Unreine und sind es unter den Augen Europas heute noch.

Mit der Republika Srpska, der serbischen Teilrepublik, die in diesem brüchigen Land nie so heißen dürfte, wurde das damalige Unrecht samt völkischem Wahn durch den Friedensvertrag von Dayton zum gesetzlichen Dauerrecht. Diese bleierne Kraft des Faktischen ist bis heute Teil der Tragik Bosniens. Mit den muslimischen Bosniaken, den orthodoxen Serben und den katholischen Kroaten gibt es drei konstitutive Volksgruppen, aber noch immer kein gemeinsames Staatsbewusstsein, keine Verfassung, keine gemeinsamen Schulbücher und auch kein nationales Museum, weil es keinen gemeinsamen Blick auf die Geschichte gibt, eine Geschichte, in der alle in wechselnden Rollen Opfer wie Täter waren. Im Wettbewerb der globalen Krisen ist Bosnien von der Agenda verschwunden. „Es gibt keine Toten und kein CNN“, sagt Valentin Inzko, der Hohe Repräsentant für Bosnien-Herzegowina der Vereinten Nationen, und sein galliger Sarkasmus verrät die Frustration und Ohnmacht des Diplomaten. Wenn sich Europa keine Zeit für Bosnien nehme, werde sich Russland Zeit nehmen, die Türkei oder Saudi-Arabien. „Putin hat immer Zeit für die Republika Srpska und den Herrn Dodik.“

Geraubtes Heimatrecht

Die damals 81-jährige Mutter von Franjo Komarica hatte fünf Minuten Zeit, ihr Haus zu verlassen. Sie zog ihre schönste Bluse an und flüchtete. Tausenden katholischen Gläubigen erging es ähnlich. Zuerst verloren sie ihre Arbeit, dann ihr Zuhause. Die meisten blieben ihres Heimatrechtes für immer beraubt. Unter Schikanen und Repressionen gelang es dem Bischof, die zerstörten Gotteshäuser mit ausländischen Hilfsgeldern wieder instand zu setzen, aber die Heimholung der Vertriebenen und den Wiederaufbau der Pfarren vereiteln die serbischen Behörden bis heute. Die Dörfer, wo einst die Katholiken gelebt hatten, sind menschenleer und ohne Strom. Die Wege, die zu ihnen führen, enden verwachsen im Nirgendwo.

Mehr als 150.000 Katholiken lebten vor dem Krieg in der serbischen Teilrepublik, die sich liebend gern von Bosnien lossagen würde und deren Polizisten vom Nationalisten Milorad Dodik eben erst mit Langfeuerwaffen ausgestattet wurden, „wie eine Privatarmee“ (Inzko). Von der katholischen Glaubensgemeinschaft sind nur noch 8000 Gläubige geblieben, „95 Prozent sind im Krieg verschwunden“, berichtet Komarica. Der Exodus halte an und reiche weit über das Klein-Serbien Dodiks hinaus, angefacht von einem nationalistischen Klima und wirtschaftlicher Trostlosigkeit. „Wenn die Entwicklung so weitergeht“, sagt Sarajevos Kardinal Vinko Puljic, „wird es bald keine katholischen Christen in Bosnien mehr geben.“ 800.000 waren es vor dem Krieg. Heute sind es nur noch halb so viele.

Zeichen der Versöhnung

Komarica, der furchtlose Bischof, hat sich nicht entmutigen lassen. Vor Kurzem hat er in seinem Bistum einen Weinberg errichten lassen, eine Käserei und mehrere private Schulen, in denen serbische Kinder nicht nur willkommen, sondern auch in der Mehrzahl sind. Der Geistliche und Oppositionelle will ungeachtet des Erlittenen Zeichen der Versöhnung setzen, die den Machthabern, den Freunden der FPÖ, obsolet sind. Lieber heute als morgen würden sie die gemeinsamen Schulen schließen lassen, sagt Komarica. Er zeigt sich fassungslos darüber, dass solches mitten in Europa geschehe und dass die Europäische Union zu all dem schweige. Die Republika Srpska sei auf dem Weg zu einer Diktatur, „mit eurem Segen“, zürnt das Kirchenoberhaupt im Beisein österreichischer Journalisten. Die internationale Gemeinschaft habe bei der Heilung Bosniens schändlich versagt. Der Friedensvertrag habe nur das Blutvergießen gestoppt, nicht aber das nationalistische Gift, das das Morden auslöste. Man habe keinen Rechtsstaat geschaffen, sondern „kontrolliertes Chaos“.

Kriegsopfer seien bestraft und Täter mit Macht belohnt worden. Es gebe keine Restitutionen und keine Prozesse, obwohl „alle alles wissen“. Wenn Europa hier nicht gelinge, so der kämpferische Bischof, dann werde Europa auch nicht im Großen gelingen. Als Komarica am Ende seiner feurigen Klage die betroffenen Mienen der Gäste sieht, steht er auf und holt aus der Küche eine Flasche Sliwowitz aus seiner Heimatstadt Banja Luka. Dazu stellt er Gläser, viel zu groß für das, was er vorhat. „Da, trinkt, das hilft.“