Rund fünf Millionen wahlberechtigte Katalanen sollen am 1. Oktober über die Unabhängigkeit von Spanien abstimmen - egal, was die spanische Regierung dagegen tut. Das wird eine Menge sein:

  • Madrid hat die entsandten Polizisten und die paramilitärische Polizeieinheit Guardia Civil um Tausende Kräfte aufgestockt.
  • Die Wahllokale sollen abgesperrt und bewacht werden.
  • Fast zehn Millionen Stimmzettel wurden beschlagnahmt, und gegen die Organisatoren des Referendums laufen Ermittlungen.

"Wie kann es sein, dass so etwas in einem Land passiert, das seit 1986 Mitglied der EU ist?", fragt sich Adam Casals, Gesandter und Leiter der Delegation der katalanischen Regierung in Österreich. "Wir sehen im Moment in Katalonien eine Missachtung und Verletzung der Grund- und Zivilrechte der Bürgerinnen und Bürger Kataloniens".

Vorwurf der "Erdoganisierung"

Für die spanische Regierung unter Ministerpräsident Mariano Rajoy ist das Referendum hingegen ein verfassungswidriges Vorgehen. "Ohne eine Wahlbehörde, die den Prozess organisiert und die Auszählung vornimmt, und ohne Wählerverzeichnis, um nur zwei Beispiele zu nennen, kann kein Referendum im eigentlichen Sinne stattfinden", erklärte Juan Sunye, der spanische Botschafter in Österreich. Deshalb seien die Maßnahmen zum "Schutz der Verfassung" angemessen. Casals bekräftigte aber, dass alle europäischen Wahlstandards erfüllt würden. "Wir verstehen nicht, warum Spanien so viel Angst vor Demokratie hat", fügte er hinzu. Allerdings gab auch das Verfassungsgericht der Zentralregierung Recht und untersagte das Referendum.

Die Katalanen lassen sich trotzdem nicht einschüchtern und werfen der spanischen Regierung "Erdoganisierung" vor. Casals appelliert an die EU. Nicht nur die Grundrechte der Katalanen, sondern auch jene der Spanier und aller EU-Bürger seien in Gefahr. Man hoffe auf Verständnis seitens der EU und auf Strafen im Falle weiterer Eskalationen durch die Zentralregierung.

Katalanen fühlen sich vernachlässigt

Seit dem Terroranschlag in Barcelona ist der Unmut der Katalanen über die Zentralregierung noch gestiegen. Die spanische Polizei und der Geheimdienst hätten relevante Informationen, die den Anschlag möglicherweise verhindern hätten können, nicht an die katalanische Polizei weitergegeben, monierte Casals. "Viele Bürger Kataloniens haben das Gefühl, dass ihr Leben dem Zentralstaat egal war."

Der Wunsch nach Unabhängigkeit geht aber weiter zurück. Unter dem Diktator General Francisco Franco wurde die Autonomie der Katalanen, deren Ursprünge bis ins Mittelalter zurückreichen, unterdrückt. Franco setzte auf Zentralisierung. Regionen wie das Baskenland und Katalonien wurden sowohl wirtschaftlich als auch politisch entmündigt. Sie verteidigten jedoch ihre Kultur und ihre Sprache.

Als sich Mitte der 1970er-Jahre die Demokratie wieder in Spanien etablierte, begannen die Katalanen, nach Selbstbestimmung zu streben, und die spanische Wirtschaftskrise vor rund fünf Jahren verlieh dem Kampf um ihre Unabhängigkeit neuen Schwung. Heute sind auch der Opernstar José Carreras und der Fußballer Gerard Piqué Anhänger der Bewegung.

Wahlzettel zu Hause drucken

"Rajoy wird dafür verantwortlich sein, Katalonien für immer verloren zu haben", stellte der Gesandte Casals fest. Auch der Bürgermeister von Arenys de Munt, Joan Rabasseda, ist bereit, das Referendum in seinem 40 Autominuten von Barcelona entfernten Ort abzuhalten. Dass die Polizei Millionen von Wahlzetteln beschlagnahmt hat, beeindruckte ihn wenig: "Wir drucken in unseren Häusern einfach neue", sagte er. Seine Entscheidung, sich der Zentralregierung entgegenzusetzen, begründete er so: "Ich muss auf die Bürger hören. Wie soll ich ihnen denn erklären, dass sie nicht wählen dürfen?"

Trotz aller Wut auf Madrid fehlt bei den Katalanen aber auch die "Fiesta"-Stimmung nicht. In Barcelona verleihen die Menschen ihrem Recht auf Selbstbestimmung durch Feiern und Tanzen Ausdruck.