David Leonhardt, preisgekrönter Kolumnist der „New York Times“, hat sich schon einmal Gedanken über die Zukunft gemacht. Ob nicht die jungen Leute in Amerika, die den Wahlkampf 2016 nicht miterleben konnten, in ein paar Jahrzehnten ihre Großeltern fragen würden: Was habt ihr getan, um Donald Trump zu verhindern? Er hoffe, so Leonhardt, dass es dann nur wenige Menschen geben werde, die antworteten: Wir sind gar nicht zur Wahl gegangen.

Nun hat er es geschafft. Der unwahrscheinlichste aller unwahrscheinlichen Bewerber in der Geschichte der USA wird am 20. Jänner kommenden Jahres den Amtseid auf dem Kapitol in Washington schwören und zum mächtigsten Staatsmann der Welt werden.

Triumph des Trumpismus

Es ist der endgültige Triumph des Trumpismus, einer Mischung aus Hetze, Verschwörungstheorie, Inhaltsleere und Fremdenfeindlichkeit, die Millionen von US-Amerikanern fasziniert und in die Arme des New Yorker Immobilienmilliardärs getrieben hat.

Der 70 Jahre alte Donald J. Trump, eine hochgewachsene, bullige Gestalt mit der Frisur eines Mannes, der Kunde beim Verlierer eines Haarschneide-Wettbewerbes war, hat eine Heerschar von Experten, Journalisten, Politikern und sogenannten Beobachtern unglaubwürdig gemacht. Als Trump vor knapp anderthalb Jahren auf der Rolltreppe seines Wohn-Wolkenkratzers an der Fifth Avenue in Manhattan nach unten ins Erdgeschoss fuhr, um dort zu verkünden, dass er die feste Absicht habe, Nachfolger von Präsident Barack Obama zu werden, war das Gelächter groß. Guter Witz, sagten die Experten.

Sie haben sich alle geirrt

Sie haben sich alle geirrt. Im Vorwahlkampf der US-Republikaner setzte sich der Außenseiter gegen 16 Mitbewerber durch. Unter ihnen waren erfahrene Berufspolitiker wie der Präsidentensohn und Präsidentenbruder Jeb Bush. Doch Erfahrung im Politikgeschäft war nicht das, was die vor allem weißen Wutbürger der USA in diesem Wahlkampf erwarteten. Sie wollten einen Anti-Politiker, der keine Erfahrung hat, und sie bekamen ihn.

Trump hat als Moderator einer Reality-Show im US-Fernsehen gelernt, dass der Schein wichtiger ist als das Sein. Er hat diesen Menschen Hoffnungen gemacht. Vor allem viele weiße Amerikaner ohne College-Abschluss sind arbeitslos. Sie fühlen sich vom politischen Establishment in Washington, seien es Demokraten oder Republikaner, verraten und vergessen. Trumps Erfolg gründete auf seiner Fähigkeit, Lautsprecher dieser Abgehängten zu sein. Viele seiner Anhänger blicken pessimistisch in die Zukunft. Sie hoffen darauf, dass ein erfolgreicher Geschäftsmann auch die Staatsgeschäfte erfolgreich führen kann. Das erkannte Trump und zeichnete ein düsteres Bild von den Verhältnissen im Land, die nur er verändern könne.

Kein Vorschlag ihres Idols klang abseitig genug, um seine Fans abzuschrecken. Sie waren immerzu begeistert und jubelten. Trump musste am Ende nur einen Satz beginnen, die Masse vervollständigte ihn wie ein Chor, der dem Vorsänger antwortet. „Mexiko“, brüllten sie, wenn Trump an seinem Rednerpult stand und fragte, wer denn wohl für den Bau einer Mauer an der Grenze bezahlen werde. Und sie klatschen wie wild Beifall, wenn der Bauunternehmer davon sprach, dass er elf Millionen illegale Einwanderer aus den USA abschieben, dass er Muslimen die Einreise verbieten, dass er alle Handelsabkommen neu verhandeln, die im Ausland verklappten Arbeitsplätze wieder ins Land holen und  - schließlich - Amerika wieder großartig, stark und mächtig machen werde. Manche Wahlveranstaltung Trumps war wie ein Massentreffen von Realitätsverweigerern.

Der Schock

Der Schock, den Trumps Erfolg im liberalen Teil der US-Gesellschaft auslöste, war gewaltig. Selbst Zeitschriften, deren Grundton für gewöhnlich zurückhaltend ist, versprühten Gift und Galle. Der Kandidat, schrieb etwa das Magazin „The Atlantic“ in einem vernichtenden Leitartikel, sei eine Krämerseele, die Verschwörungstheorien und Rassismus verbreite, ein entsetzlicher Sexist, erratisch, xenophob, ein Bewunderer autoritärer Herrscher, leicht reizbar, ein Feind des fakten-basierten Diskurses, dem die Verfassung, die er nicht kenne, gleichgültig sei. Wie groß die Wut und die Verzweiflung über den Aufstieg des Milliardärs zum Polit-Star gewesen sein muss, zeigt sich schon allein in einem Detail. Erst zum dritten Mal seit seiner Gründung im Jahr 1857 gab „The Atlantic“ seine Lesern eine Empfehlung, wen sie nicht wählen sollten. Das erste Mal war 1860, da standen die USA kurz vor einem Bürgerkrieg. Das zweite Mal war 1964, als der republikanische Präsidentschaftskandidat Barry Goldwater hieß, auch er ein Populist, aber im Vergleich zu Trump ein Lehrbub in diesem Gewerbe.

Doch von Kritik an ihrem Kandidaten ließen sich die Anhänger Trumps in diesem Wahlkampf nicht beeindrucken. Im Gegenteil: Es mochten sich selbst der Papst und der scheidende Präsident mit mahnenden Worten ans Wahlvolk richten, es half nichts. Jeder Angriff der Gegenseite bestätigte vielmehr die in Trumps Lager tief verankerte Auffassung, dass das politische Establishment nur zurückschlägt, um sich seine Pfründe zu sichern.

Die zahllosen Enthüllungen, wonach Trump gar kein so erfolgreicher Geschäftsmann war wie er vorgibt, änderten nichts am positiven Bild des Milliardärs bei den sogenannten kleinen Leuten. Trump machte zwar entgegen aller Tradition als erster Präsidentschaftskandidat seit Jahrzehnten seine Steuererklärungen nicht öffentlich. Doch dieser Verstoß gegen die Wahlkampf-Sitten schweißte seine Anhänger nur noch fester zusammen. Ebenso wenig schadete ihm - zumindest in den Umfragen - ein Video, das Anfang Oktober an die Öffentlichkeit kam. Darin prahlt der Milliardär im Zwiegespräch mit einem Gesellschaftsjournalisten, dass er mit Frauen alles anstellen könne, was er wolle. Er sei schließlich ein Star. Und als er schließlich von zehn Frauen beschuldigt wurde, sie sexuell belästigt zu haben, erklärte Trump diese Frauen zu Lügnerinnen. „Glaubt mir“, sagte er seinen Anhängern, und sie glaubten ihm.

Donald Trump, der unwahrscheinlichste aller unwahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten, ist auch ein Produkt der ausschließlich auf die Einschaltquote schielenden US-Fernsehsender. Trump war ein immerzu auf den Bildschirmen präsenter Showman, der sich in einfachen Sätzen damit brüstete, auf die politische Korrektheit zu pfeifen.