Seit 1998 gab es einen regelmäßigen theologischen Austausch zwischen der Al-Azhar-Universität und dem Vatikan. Die Zusammenkünfte wurden Anfang 2011 von ägyptischer Seite abgebrochen. Grund waren Forderungen von Franziskus' Vorgänger Benedikt XVI. (2005-2013) nach einem besseren Schutz für koptische Christen vor Terror und Gewalt. Mit dem Pontifikat des argentinischen Papstes verbesserten sich die Beziehungen zwischen Vatikan und der Al-Azhar-Universität wieder. Im Dezember 2013 hatten beide Einrichtungen auf Wissenschaftsebene wieder Gespräche aufgenommen.

Der ägyptische Jesuitenpater Samir Khalil Samir, Dozent für Islamwissenschaft am Päpstlichen Orientalischen Institut in Rom, sagte im Blick auf die Tayyeb-Visite gegenüber Radio Vatikan am Montag, die islamische Welt erlebe heute ihre vielleicht tiefste Krise der vergangenen Jahrzehnte. Vor diesem Hintergrund ist das Treffen von Papst Franziskus mit dem ägyptischen Großscheich von großer Bedeutung.

Der Islam erlebe heute "einen echten inneren Zusammenprall, der von der Ideologie des sogenannten Islamischen Staates ausgelöst wird", so Pater Samir. Diese Ideologie der Gewalt sei "inakzeptabel und tut der muslimischen Welt unrecht". Genau deshalb sei es sehr hilfreich, heute die muslimische Welt zu unterstützen. "Es hat keinen Sinn, sie zu bekämpfen. Viel eher muss man ihr beistehen und die eigene Erfahrung anbieten. Schließlich haben wir in der katholischen Kirche ähnliche Probleme erfahren."

Kernfrage der neu anknüpfenden Gespräche müsste die Interpretation des Koran sein, sagte der ägyptische Islamgelehrte. "Eine wörtliche Interpretation gerade der Stellen, die über Gewalt sprechen, ist heute unmöglich. Die Universität Al-Azhar lehnt eine wörtliche Koranauslegung komplett ab." Allerdings beriefen sich die Ideologen des "Islamischen Staates" auf Imame und Rechtsgutachten, die solche wörtlichen Interpretationen nicht ausdrücklich ablehnten.