Der Weg für ein gesondertes Strafverfahren gegen den deutschen TV-Moderator Jan Böhmermann wegen Beleidigung des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan ist frei. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gab einem entsprechenden Wunsch der Türkei am Freitag in Berlin statt. Die Entscheidung ist innerhalb der Regierung allerdings umstritten. Merkel verwies auf "unterschiedliche Auffassungen" zwischen den Koalitionspartnern aus Christdemokraten und Sozialdemokraten.

Justiz habe "letztes Wort"

Merkel sagte in einer Erklärung im Kanzleramt: "Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen und andere Belange gegen die Presse- und Kunstfreiheit abzuwägen." In Deutschland solle nicht die Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben.

Böhmermann hatte Ende März in seiner satirischen TV-Show "Neo Magazin Royale" ein Gedicht vorgetragen, in dem er den türkischen Präsidenten beleidigte. Dies sorgte in der Türkei für große Empörung. Die Regierung in Berlin hatte Erdogans Wunsch nach einem gesonderten Strafverfahren tagelang geprüft. An der Entscheidung waren neben Merkel und SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel  auch das Auswärtige Amt sowie das Innen- und das Justizministerium beteiligt.

Paragraf künftig "entbehrlich"

Grundlage für die Entscheidung ist Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs. Wer einen ausländischen Staatschef beleidigt, muss demnach in Deutschland mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

Merkel kündigte an, dass der Paragraf abgeschafft werden soll. Der Paragraf 103 sei nach Auffassung der Bundesregierung "für die Zukunft entbehrlich", sagte die Bundeskanzlerin. Noch in dieser Wahlperiode werde ein entsprechender Gesetzentwurf verabschiedet, der 2018 in Kraft treten solle.

Thomas Oppermann kritisiert Merkels Schritt: "Ich halte die Entscheidung für falsch", erklärte der SPD-Fraktionschef auf Twitter. "Strafverfolgung von Satire wegen 'Majestätsbeleidigung' passt nicht in moderne Demokratie", sagte er. Merkel hatte zuvor deutlich gemacht, dass sie sich mit ihrer Entscheidung über Bedenken in der SPD hinwegsetzte. "Es gab unterschiedliche Auffassungen zwischen den Koalitionspartnern Union und SPD. Im Ergebnis wird die Bundesregierung im vorliegenden Fall die Ermächtigung erteilen", sagte die Kanzlerin. In der SPD hatte es geheißen, Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Justizminister Heiko Maas seien für eine Ablehnung des türkischen Strafverfolgungsersuchens.