Die Hinrichtung eines prominenten schiitischen Geistlichen in Saudi-Arabien hat internationale Besorgnis und heftige Proteste ausgelöst. In der iranischen Hauptstadt stürmten aufgebrachte Demonstranten die saudi-arabische Botschaft. Die einflussreiche iranischen Revolutionsgarden, eine Zweit-Armee, drohten dem sunnitischen Königshaus in Saudi-Arabien mit einer "scharfen Vergeltung".

Die USA und die EU äußerten sich besorgt, dass die Spannungen zwischen den Religionsgruppen in der Golf-Region weiter angeheizt werden könnten. Der Kleriker Nimr al-Nimr war in Saudi-Arabien wegen Terrorismus zum Tode verurteilt worden. Der Iran sah in dem entschiedenen Kritiker der Führung in Riad allerdings einen wichtigen Verfechter der Rechte der schiitischen Minderheit.

Feuer und Randale

In Teheran brachen Demonstranten der Nachrichtenagentur ISNA zufolge in die Botschaft ein, legten Feuer und zertrümmerten Mobiliar. Kurz darauf wurde das Gebäude von Polizisten wieder geräumt. Über den Kurznachrichtendienst Twitter verbreitete Fotos zeigten, wie Teile der Botschaft in Flammen standen. Ein Augenzeuge sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Das Feuer hat das Innere der Botschaft zerstört." Die Polizei habe mehrere Demonstranten festgenommen.

Nach dem Zwischenfall rief die Regierung des schiitisch geprägten Iran zur Mäßigung auf. Es dürfe keine weitere Demonstrationen in der Nähe der saudi-arabischen Botschaft geben, forderte ein Sprecher des Außenministeriums ISNA zufolge. Zuvor hatte die Führung in Teheran die Hinrichtung Nimrs heftig kritisiert, woraufhin Saudi-Arabien den iranischen Botschafter herbeizitierte. Saudi-Arabien und der Iran ringen um die Vormachtstellung in der Region.

In der zweitgrößten Stadt im Iran, Mashhad, zündeten Demonstranten laut Nachrichtenwebsites das saudi-arabische Konsulat an. Die studentische Bassij-Miliz rief für Sonntag zu einer Demonstration vor der saudi-arabischen Botschaft in Teheran auf.

Nimr Baker al-Nimr unter Exekutierten

Auf der Internet-Seite des obersten geistlichen Führers im Iran, Ayatollah Ali Khamenei, war ein Bild eines saudi-arabischen Henkers neben dem als "Jihadi John" bekannt gewordenen Extremisten des "Islamischen Staats" (IS) zu sehen. Das Foto trug die Unterzeile: "Irgendwelche Unterschiede?" Dem inzwischen vermutlich getöteten "Jihadi John" wird die Enthauptung mehrerer westlicher Geiseln zur Last gelegt.

Neben Nimr waren am Samstag in Saudi-Arabien 46 weitere Menschen wegen Terrorismus oder Anstiftung zur Gewalt exekutiert worden. Die meisten von ihnen waren sunnitische Extremisten. Mehrere von sollen für das Terrornetzwerk Al-Kaida 2003 und 2004 Anschläge verübt haben. Zu den Exekutierten gehörte auch Faris al-Shuwail, der Medienberichten zufolge der oberste religiöse Anführer von Al-Kaida in Saudi-Arabien war.

Die Hinrichtungen zielten nach Einschätzung von Beobachtern darauf ab, Saudi-Araber davor abzuschrecken, sich Islamistengruppen anzuschließen. Saudi-Arabien war in den vergangenen Jahren immer wieder Ziel von Bombenanschlägen und Attentaten militanter Sunniten. Auch der IS hat wiederholt zu Anschlägen im Königreich aufgerufen, das selbst mit dem Wahhabismus eine besonders konservative Strömung des sunnitischen Islam unterstützt.

Ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärte, die Staats- und Regierungschefs der Golf-Region müssten "ihre Bemühungen verdoppeln", um zu einer Deeskalation der Lage beizutragen. Saudi-Arabien müsse sich an die Menschenrechte halten und in jedem Fall faire und transparente Gerichtsverfahren gewährleisten.

EU fordert zu Versöhnung auf

Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini bekräftigte die ablehnende Haltung der Europäischen Union zur Todesstrafe generell und erklärte, Nimrs Hinrichtung wecke ernste Bedenken hinsichtlich der Meinungsfreiheit und dem Respekt gegenüber bürgerlichen und politischen Grundrechte in Saudi-Arabien. Sie forderte die Regierung auf, zur Versöhnung zwischen den verschiedenen Gruppen des Landes beizutragen.

UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon rief die rivalisierenden Religionsgruppen zur Zurückhaltung auf. Alle Verantwortlichen in der Region müssten zu einem Abbau der Spannungen beitragen, forderte er.

Auch in Bahrain, dessen sunnitische Führung mit Riad verbündet ist, protestierten dutzende Jugendliche der schiitischen Bevölkerungsmehrheit gegen die Exekutionen, die Polizei setzte Tränengas ein. In der den Schiiten heiligen irakischen Stadt Kerbala demonstrierten Hunderte Menschen gegen Saudi-Arabien. Der irakische Regierungschef Haider al-Abadi, ein Schiit, erklärte, die Unterdrückung von Meinungsfreiheit und friedlicher Opposition habe "Konsequenzen auf die Sicherheit, Stabilität und den sozialen Zusammenhalt der Region".

Der Sprecher des iranischen Außenministeriums erklärte: "Die saudi-arabische Regierung unterstützt auf der einen Seite terroristische und extremistische Bewegungen und benutzt zugleich die Sprache der Repression und die Todesstrafe gegen ihre inneren Gegner." Der Iran vollzieht selbst die Todesstrafe. Das saudi-arabische Innenministerium kritisierte den Ton Teherans als "aggressiv". Die amtliche Nachrichtenagentur SPA zitierte aus einer Erklärung eines Außenamtssprechers in Riad, der Iran unterstütze "schamlos" den "Terrorismus" und gefährde die regionale Stabilität. Teheran sei "das letzte Regime auf der Welt, das andere der Unterstützung des Terrorismus bezichtigen dürfe".