In den USA werden in den nächsten Stunden alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und rund ein Drittel der 100 Senatoren gewählt. Hinzu kommen 36 aus europäischer Sicht sträflich unterschätzte Gouverneurswahlen. Denn im US-Föderalismus ist Politik automatisch Kompetenz der Einzelstaaten, solange die Verfassung nicht das Gegenteil sagt. Was selten der Fall ist. Über österreichische Debatten zur Steuerhoheit der Länder lacht man in Washington. Das ist sowieso klar, und in den Konföderationsartikeln als Verfassungsvorläufer waren sogar Währung und Armee keine Bundessache.
Bei uns werden zudem Landeshauptleute und Bundesräte von den Landtagen nominiert, weshalb die Zweitgenannten keiner kennt. Dass es nicht unmittelbar vom Volk gewählte Politiker gibt, das macht uns aus Sicht der Amerikaner fast zum kommunistischen Land. Weil in den USA keiner für Parteilisten stimmen will, sondern allein Personen wählbar sind. Parteien wurden von den Verfassungsgründern als Splittergruppen bezeichnet und weisen eine noch geringere Beliebtheit als in Österreich auf.
Daher sind nach einer Studie von „YouGov“ nur acht Prozent der Wähler mit dem Kongress zufrieden, nachdem sich die Parteilinien seit den Neunzigerjahren radikal verschärft haben. Im Vergleich gilt das österreichische Parlament mit Vertrauensdaten von etwa einem Drittel als Insel der Seligen. Ein Grund dafür ist das Wahlrecht: Nach dem „The Winner Takes All“-Prinzip wird Repräsentant oder Senator, wer im jeweiligen Bezirk bzw. Staat vorne ist.
Durch die Mehrheits- statt der Verhältniswahl fühlen sich viele Wähler nicht vertreten, wie es bei uns mit Mandaten für Parteien ab vier Prozent der Stimmen anteilig vorgesehen ist. Gäbe es das US-Wahlsystem, wären Grüne, Neos und Team Stronach nicht im Nationalrat. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sind Kleinparteien kein Thema, die gigantische Medienaufmerksamkeit ist auf sündteure Schlüsselwahlkämpfe konzentriert.
Laut dem Center for Responsive Politics kosten die Kongresswahlen 3,7 Milliarden Dollar. Das sind 3700 Millionen, die Summe der österreichischen Wahlkampfausgaben ist kaum ein Hundertstel davon. Unabhängig von der in den USA größeren Wählerzahl wirkt da die heimische Diskussion um das Sieben-Millionen-Euro-Limit pro Partei fast lächerlich. Im Rennen um den Senatssitz von Kentucky haben Amtsinhaber Mitch McConnell und Herausforderin Alison Grimes mehr Geld als SPÖ, ÖVP, FPÖ & Co zusammen verbraucht.
Während abgesehen von Frank Stronach unser politischer Wettbewerb via Parteiförderung überwiegend mit Steuergeld bestritten wird, gibt es in den USA beim Kongress ausschließlich private Wahlkampffinanzierung. Kritikpunkt ist, dass niemand 10 oder 20 Millionen auftreibt und von den Geldgebern unbeeinflusst bleibt. Das sagte früher der kalifornische Gouverneur Jerry Brown, der heute erfolgreichster Sammler von Großspenden ist. Doppelmoral gibt es offenbar in der Politik diesseits und jenseits des Atlantiks.
Doch kommt in den USA ein Großteil der Ausgaben nicht halbwegs transparent von Parteien, sondern durch Interessengruppen mit unklarem Hintergrund. Politische Superaktionskomitees (Super-PACs) dürfen nach einer höchstgerichtlichen Aufhebung aller Obergrenzen mit dicker Brieftasche agieren.
Die besser gefüllte Kriegskassa der Republikaner kann über die Mehrheitsverhältnisse entscheiden. Vermutlich gibt es eine geteilte Regierungsmacht, was mit einer Koalition wie in Österreich nichts zu tun hat.
Der Demokrat Barack Obama wird – so die Statistiker der legendären 538-Mannschaft um Nate Silver – mit einer Wahrscheinlichkeit von fast 70 Prozent bald republikanischen Mehrheiten im Repräsentantenhaus und Senat gegenüberstehen. Für das „Wahllabor“ der „Washington Post“ ist das nahezu sicher.
In Umfragen werden republikanischen Kandidaten bereits 228 wahrscheinliche Sitze im Repräsentantenhaus vorhergesagt. Das ist mehr als die Hälfte, der jetzige Überhang an Republikanern scheint bestätigt. Nur im Senat hofft Obama noch, dass fünf seiner acht extrem gefährdeten Amtsinhaber ihren Sitz halten und dadurch das bisherige Plus der Demokraten hauchdünn retten.
Parteikollegen überschlagen sich aber in ihrer Distanzierung vom Präsidenten. Das erinnert an unsere Landespolitiker, die den Bundesparteichef medial an die Wand knallen. Die Senatoren aus Colorado und Alaska, Mark Udall und Mark Begich, haben Obama ausgerichtet, ihn nicht treffen zu wollen. Obwohl sie im Kongress zu 99 Prozent für seine Politik stimmten.
Wie vor Landtagswahlen häufig Bundespolitiker quasi Einreiseverbot bekommen, versucht Obama gar nicht erst, in umkämpften Staaten als Wahlhelfer aufzutreten. Das tut höchstens seine Frau Michelle, die in Florida an der Seite von Charlie Crist kämpft. Überstrahlt wird sie von Hillary Clinton, die zur Unterstützung Mary Landrieus zur Senatswahl nach Louisiana reiste. Auf der Gegenseite ist Jeb Bush – Sohn und Bruder der gleichnamigen Präsidenten – ausgerückt, um Obama für dessen Ebola- und IS-Politik anzugreifen.
Die Ablehnung des Präsidenten verwundert, weil die USA besser aus der Krise gekommen sind als gedacht. Das Wachstum beträgt über drei Prozent, die Arbeitslosigkeit ist auf sechs Prozent gesunken. Obama predigt ähnlich wie Bundeskanzler Werner Faymann richtige Wirtschafts- und Sozialdaten, dass es schlimmer sein könnte und man nicht Jammern auf hohem Niveau betreiben darf. Damit argumentieren beide kopflastig und erreichen oft nicht die Herzen enttäuschter Wähler.
PS: Das Engagement von Frau Clinton und Herrn Bush nährt Spekulationen über sie als Kontrahenten in der Präsidentschaftswahl 2016. Das wäre von den Namen her – 1992 gewann Bill Clinton gegen George Bush junior – der gleiche Wahlkampf wie vor einem Vierteljahrhundert. Dass wir das Gefühl haben, vor und nach Wahlen stets die gleichen Politikernamen zu hören, verbindet uns mit den USA.

Peter Filzmaier ist Professor für Politikwissenschaft an den Unis Krems und Graz und derzeit auf Forschungsaufenthalt in Washington, D.C