Die Bundesregierung schickt Wissenschaftsminister Johannes Hahn (V) als EU-Kommissar nach Brüssel und wünscht sich das Forschungsdossier. Auch andere legen die Karten auf den Tisch: So erklärte Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, er würde einer Aufforderung, EU-Ratspräsident zu werden, schon Gehör schenken, wenn er "ambitionierte Ideen" verwirklichen könne. Damit wird der frühzeitig als Favorit gehandelte britische Ex-Premier Tony Blair als EU-Ratspräsident noch unwahrscheinlicher.

Neben einem Ratspräsidenten, der für zweieinhalb Jahre die EU-Gipfel leiten soll, müssen die "Chefs" auch einen Nachfolger von Javier Solana als Hohen Beauftragter für die Außenpolitik ernennen. Beide Posten werden im Paket entschieden und sind an den Lissabon-Vertrag geknüpft, der nur von Tschechien noch nicht ratifiziert ist.

Ausnahmeregelung für Tschechien

Derzeit deutet vieles darauf hin, dass Tschechien eine Ausnahme aus der EU-Grundrechtecharta zugestanden wird, wenn das Brünner Verfassungsgericht keine Einwände gegen den Lissabon-Vertrag ausspricht. Staatspräsident Vaclav Klaus könnte dies als persönlichen Erfolg verbuchen und gesichtswahrend das von ihm wiederholt kritisierte Reformwerk ratifizieren. Offenen Widerspruch gegen eine solche Option nach dem Vorbild der für Irland abgegebenen Garantieerklärungen der EU gibt es nicht. Als Protokoll könnte eine solche Ausnahme beim EU-Beitritt Kroatiens dem EU-Vertrag angefügt werden, womit die heikle Frage der Ratifizierung auf Jahre aufgeschoben wäre.

Österreich will sicherstellen, dass "nicht in irgendeiner Weise die Benes-Dekrete gerechtfertigt" würden, wie Außenminister Michael Spindelegger (V) unterstrich. Ein Hinweis auf die von Klaus bemühte Frage möglicher Klagen gegen die Enteignung und Vertreibung der Sudetendeutschen vor dem EU-Gerichtshof ist wohl ausgeschlossen. So erklärte die schwedische EU-Ratspräsidentin und Europaministerin Cecilia Malmström bereits vorsorglich: "Es ist absolut klar, dass die Grundrechtecharta nicht rückwirkend ist und nichts mit den sogenannten Benes-Dekreten zu tun hat."

Solange sich in Tschechien die Verfassungsrichter mit dem Lissabon-Vertrag befassen, ist weder eine Ausnahmeregelung für Tschechien noch das EU-Personalpaket unter Dach und Fach zu kriegen, betonen Diplomaten. Die Richter haben ein Urteil erst für den 3. November angekündigt. Dazu kommt, dass die Europäische Union in der Frage des Ratspräsidenten gespalten ist. Derartige Deals werden bevorzugt im Vorfeld arrangiert, um einen offenen Gipfelstreit zu vermeiden. So könnten beim 20. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer am 9. November in der deutschen Bundeshauptstadt die Würfel für die Spitzenposten informell fallen, erklärten EU-Diplomaten, ein EU-Sondergipfel kurz später würde das Paket dann noch offiziell absegnen.

Blair hat die Unterstützung der britischen Regierung und von Italiens Premier Silvio Berlusconi. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy scheint von Blair bereits abzurücken, so bezeichnete er es als "ein Problem", dass Großbritannien den Beitritt zur Gemeinschaftswährung Euro verweigere. Die Benelux-Staaten wollen Blair verhindern, haben aber keinen gemeinsamen Gegenkandidaten. Neben Juncker will auch der niederländische Regierungschef Jan Peter Balkenende Ratspräsident werden. Und Juncker kritisierte seinen "Freund" Balkenende am Dienstag in "Le Monde" mit höflichen Verständnis dafür, dass dieser das gescheiterte niederländische EU-Verfassungsreferendum vor vier Jahren nicht mit seiner eigenen politischen Zukunft verknüpft habe.

Außenminister Spindelegger bestätigte indes das Interesse Österreichs an einem der beiden verbleibenden EU-Spitzenposten, nannte aber weder Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V) noch Außenministerin Ursula Plassnik (V) namentlich, die im Gespräch sind. "Sie werden bald eine längere Menü-Liste sehen", sagte der litauische Außenminister Vygaudas Usackas. Und mit der lettischen Ex-Präsidentin Vaira Vike-Freiberga bereicherte er das EU-Postenkarussell um einen weiteren Namen.