Großbritannien tragen die Schüler während des Unterrichts noch brav Uniform. Blazer und Krawatte für die Buben, Röckchen und Kniestrümpfe für die Mädchen. Für die umstrittene Kleiderordnung wird vor allem ein Argument immer wieder ins Feld geführt: Soziale Unterschiede, zur Schau getragen über Designerjeans und Marken-Turnschuhe, sollen in der Schule keinen Platz haben. Gleiche Voraussetzungen für alle.

Doch die Wahrheit sieht anders aus. Deutsche Schulpolitiker bemängeln oft die extrem enge Koppelung schulischen Erfolges an die soziale Herkunft der Kinder. Der Blick nach Großbritannien würde sie womöglich mit den Umständen zu Hause versöhnen - auf der Insel ist alles noch viel schlimmer. Vize-Premierminister Nick Clegg sprach kürzlich gar von "Bildungs-Apartheid" und will jetzt mit einem Regierungsprogramm zur Schaffung "Sozialer Mobilität" durchgreifen.

Wer es sich in Großbritannien leisten kann, schickt sein Kind für Hunderte von Pfund im Monat auf eine Privatschule. Der Rest genießt die Bildung eines staatlich finanzierten Gesamtschulsystems. Und dieses liefert den Beweis, dass "länger gemeinsam lernen" - wie in Kontinentaleuropa häufig propagiert - zumindest nicht automatisch zum Erfolg führt. Bei den internationalen Vergleichsstudien sind britische Schüler weder bei den Naturwissenschaften noch in Sprachen oder Mathematik unter den ersten zehn zu finden - wenn auch in einigen Sparten vor z.B. ihren deutschen Altersgenossen.

Was die Bildungschancen von Kindern aus sozial schwacher Umgebung angeht sieht es besonders düster aus. Das Zuwandererland Großbritannien liegt hier nicht nur klar hinter skandinavischen Ländern, Kanada, Deutschland und den USA. Das Königreich rangiert sogar auf dem allerletzten Platz der Länder, für die die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) Daten erhebt.

Was aus einem Kind wird, wo es einmal lebt, wie viel es später verdient, welchen Wohlstand es sich leisten kann - all diese Dinge werden in Großbritannien zu rekordverdächtigen 50 Prozent vom sozialen Umfeld schon bei der Geburt festgelegt. In Skandinavien liegt diese Rate nur bei 20 Prozent. Diese Daten veröffentlichte der britische Gewerkschafts-Dachverband TUC jüngst.

Wurzel allen Übels

Die Wurzel allen Übels liegt für TUC-Generalsekretär Brendan Barber im fehlenden sozialen Ausgleich. "Großbritannien ist eine der Klassengesellschaften mit dem geringsten Ausgleich in der entwickelten Welt", sagt er. Auch der Downing Street ist das nicht neu. "Unsere Kinder sind ziemlich stark vorbestimmt durch die Umstände schon bei ihrer Geburt", sagt Clegg, selbst an der privaten Westminster School groß geworden.

Mit dem früheren Labour-Kabinettsmitglied Alan Milburn hat die konservativ-liberale Regierung einen Beauftragten eingesetzt, dessen einziger Job es ist, sich für Chancengleichheit stark zu machen. Ärmere Kinder sollen besser gefördert werden. Mit der Ausarbeitung entsprechender Vorschläge hatte Milburn schon unter der Labour-Regierung begonnen.

Geld für Bildungssystem

Diese hatte das Problem auch schon erkannt und massiv Geld ins Bildungssystem gepumpt. Nicht völlig ohne Erfolg: Die Kinderarmut ist in den vergangenen Jahren zumindest leicht zurückgegangen. Aber noch immer können es sich Hunderttausende nicht einmal leisten, ihre Freunde nach Hause einzuladen, um einen Kindergeburtstag zu feiern. "Die Kinder vereinsamen", befürchten Gewerkschafter.

Ein Anfang zumindest ist gemacht, an den ersten Stellschrauben hat die neue Regierung gedreht. Die ärmsten Familien, sagt Clegg, würden von der Einkommensteuer befreit. Die Universitäten sollen in die Lage versetzt werden, weniger wohlhabenden Schulabsolventen einen Studienplatz anzubieten. Und die schon unter Labour begonnene Strategie, ein Recht auf flexible Arbeitszeiten für Eltern einzuführen, damit sie sich mehr um die Kinder kümmern zu können, soll fortgesetzt werden. Doch Clegg, selbst Absolvent der Elite-Universität von Cambridge, weiß, wie langwierig der Prozess sein kann: "Soziale Mobilität in Großbritannien herzustellen bedeutet, das Ruder eines Supertankers umzulegen."