Hübsch ist sie ja, die Stephanskrone. Viel Gold, blaue und rote Edelsteine, und nicht zuletzt das schräg geneigte Kreuz an ihrer Spitze. Szent Korona, "Heilige Krone", nennen die Ungarn ehrfurchtsvoll das Glitzerding. Und doch: Auf dem Kopf von Viktor Orban schaut es komisch aus. Ein bisschen groß. Grinsend streckt Szabor sein Handy rüber, auf dem ein Comic über Ungarns Wahlsieger zu sehen ist. "Das wäre wohl sein größter Traum", sagt Szabor. "König von und zu Budapest, und das für immer".

Dass Viktor Orban die Wahl am Sonntag gewinnen wird, steht fest. Erwartet wird ein Rechtsruck, wie ihn die junge ungarische Demokratie noch nicht erlebt hat. Meinungsforscher prognostizieren dem Chef der national-konservativen Fidesz-Partei einen Erdrutschsieg, Orban hat die absolute Mehrheit in Griffweite. Doch enormen Zuspruch haben auch die Rechtsradikalen: Jobbik, zu Deutsch "Die Besseren", werden bis zu 20 Prozent der Stimmen zugetraut - sie könnten sogar die bisherige Regierungspartei, die Sozialisten, auf Platz drei verweisen. "Mir macht das alles Angst", sagt Szabor, der links wählen wird. "Wo soll das hinführen."

"Orban ist auf alle Fälle völlig unberechenbar"

Das, so scheint es, weiß in Budapest derzeit niemand wirklich. Je nach politischer Anschauung trifft man auf Hysterie bis Abgeklärtheit. Die Linke warnt vor der Orban-Diktatur. "Er wird das Ungarntum pflegen, aggressiv gegenüber den Nachbarländern und der EU auftreten und seine Macht ausbauen", erwartet auch Janos Molnar, Politologe der Friedrich-Ebert-Stiftung in Budapest. Orban werde die Zwei-Drittel-Mehrheit nutzen, um die Verfassung zu ändern - zu seinen Gunsten. Fidesz-treue Analysten dagegen wiegeln ab: Ja, Orban werde die nationalen Interessen Ungarns stärker vertreten, meint etwa Agoston Mraz vom Perspective-Institut. Aber als überzeugter Demokrat und Europäer und mit zivilisierten Mitteln. Orban selbst, der in der Vergangenheit von der Oppositionsbank aus mit scharfen Sprüchen die Emotionen gegen die Regierung angeheizt und auch auf die Straße verlagert hat, gibt sich jetzt, mit Aussicht auf Regierungsverantwortung, staatsmännisch. In Obama-Manier verspricht er den "Wandel" und versucht so fesch wie möglich von den Plakaten zu strahlen. "Orban ist auf alle Fälle völlig unberechenbar", sagen wohl zu Recht unabhängige Forscher wie Kornelia Magyar.

Dennoch wünschen sich auch viele Linke einen starken Orban: "Mein Großvater hat als Partisan gekämpft, mein Vater war überzeugter Kommunist, und ich habe immer links gewählt", sagt etwa Reka Zimany, eine 35-jährige Lehrerin. "Aber die Sozialisten haben für mich ausgespielt, es wird wirklich Zeit für Veränderung." Acht Jahre waren sie nun an der Macht. Nur um ein Haar ist Ungarn am Staatsbankrott vorbeigeschrammt, der IWF musste mit Notkrediten einspringen. Seit Ex-Premier Gyurcsany 2006 mit seiner "Lügenrede" Schlagzeilen machte, in der er eingestand, den Wählern über das Ausmaß der Probleme des Landes nicht die Wahrheit gesagt zu haben, haben die Sozialisten auch bei treuen Wählern allen Kredit verspielt. Die zahlreichen Korruptionsfälle machten die Sache nur noch schlimmer.

"Ungarn den Ungarn"

Die Enttäuschung nutzen die Rechtsradikalen für ihren Aufstieg. Auch Gabor Vona, der 31-jährige, schneidige Chef der Jobbik, verspricht den Wandel, allerdings einen "radikalen", der nicht im Detail ausformuliert wird. "Ungarn den Ungarn", lautet jedenfalls die Devise, seine Feindbilder sind in erster Linie die rund 600.000, überwiegend verarmten Roma und multinationale Konzerne. Tatsächlich beginnen viele Ungarn die Krise und soziale Einschnitte am eigenen Leib zu spüren. Während die Nobelläden in den Budapester Prachtstraßen vereinsamen, wächst die Zahl der Arbeits- und der Obdachlosen, die in U-Bahn-Stationen oder Zelten aus Plastikplanen am Stadtrand ihre notdürftige Bleibe aufschlagen. "Wir zahlen 320 Forint für einen Liter Benzin, und die Roma bekommen das Geld reingesteckt!", ärgert sich ein Gemüsehändler, der Jobbik wählen wird.

Parteichef Vona schürt diese Ressentiments gezielt. "Das Problem mit den Roma ist nicht, dass sie eigenartig riechen und sich schlecht kleiden", sagte er in einem Interview, "aber dass sie sich nicht an die Normen unserer Gesellschaft halten und die öffentliche Ordnung bedrohen". Er spricht pauschal von "Zigeunerkriminalität" und weist zugleich den Vorwurf zurück, Rassist zu sein. Tatsächlich treten auch die Rechtsradikalen derzeit etwas gemäßigter auf als zuvor. Die "Ungarischen Garden", jene paramilitärische Gruppe, die Vona selbst mitbegründet hat und in Uniformen aufmarschieren ließ, die an jene der in Ungarn 1944/45 regierenden faschistischen Pfeilkreuzler erinnern, sind mittlerweile gerichtlich verboten; von der Idee einer Truppe, die die vermeintlichen Schwächen der Polizei in Romagebieten wettmachen soll, hat Vona sich aber nicht verabschiedet.

Heim ins Mutterland

Wie viel er nach der Wahl zu sagen haben wird, wird letztlich von der Stärke Orbans abhängen. Dieser wirbt auch mit dem Argument um Wähler, dass Fidesz eine Super-Mehrheit brauche, um für Reformen sowohl ohne verhasste Linke wie ohne radikale Rechte auszukommen. Auswirkungen haben die kruden Jobbik-Sprüche dennoch. Vor allem in der Slowakei gehen die Wogen hoch, seit ein führender Jobbik-Politiker erklärte, die künftige Regierung müsse für mehr Selbstbestimmung der ungarischen Minderheit in der Slowakei sorgen, damit diese wieder "mit dem Mutterland vereint werden kann". Die slowakischen Nationalisten warnen vor ungarischen "Annexionsplänen" gegenüber der zweisprachigen Südslowakei, schon ist die Rede von "Gefechtsbereitschaft" beiderseits der Donau.

Während Politologen den Erfolg der Jobbik vor allem bei jungen Ungarn damit erklären, dass Vona besser als seine Gegner einen Internet-Wahlkampf über Facebook und Co. führe, beflügelt der rasante Aufstieg der Rechtsextremen die Verschwörungstheorien. "Das Geld für Jobbik kommt vom KGB", meint Ferenc, ein Journalist, mit vollem Ernst. Moskau wolle Europa destabilisieren und schüre die Spannungen mit Roma und Slowaken gezielt. Somit bleibt wohl vorerst noch geheim, welches Ungarn die Welt ab Montag sehen wird.