Othmar Karas ist Erster Vizepräsident des EU-Parlaments, er war 25 Jahre lang EU-Abgeordneter für die ÖVP und verlässt im Sommer die EU-Institution. Bei seiner letzten Pressekonferenz im Rahmen der letzten Plenartagung vor den Wahlen in Straßburg sprach er vor Journalisten mahnende Worte. Er forderte ein „mutigeres Europa und mutige, ehrliche Politiker, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen“. Karas meinte, die EU fahre „derzeit nur mit 70 Prozent Leistung. Die ganz großen Reformen gelingen nicht. Wir brauchen in diesen Zeiten eine EU, die mit 100 Prozent fährt.“ Bei der Plenarsitzung wurden auch am Mittwoch zahlreiche Dossiers abgeschlossen, etwa Lieferkettengesetz, EU-Gesundheitsdatenraum, Richtlinie zur Gewalt gegen Frauen, Ausstieg aus der Energiecharta, neue Gentechnik und vieles mehr.

Karas warnte vor den Folgen aktueller Entwicklungen: „Leider habe ich zunehmend das Gefühl, dass auch hier in Brüssel die Entwicklungen von Parteitaktik und Nationalismus an Einfluss gewonnen haben. Diese Geisteshaltung müssen wir schleunigst wieder ablegen.“ Der Minimalkompromiss, das „Weiter so“, werde nicht funktionieren, zumal Europa mit enormen Krisen konfrontiert sei. Die EU fahre nur mit 70 Prozent – „wie wäre es mit 100 Prozent?“ Karas spricht sich für eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen aus, die neue Kommission solle auf den jüngsten Berichten von Mario Draghi und Enrico Letta aufbauen, diese könnten auch selbst mit Aufgaben betraut werden, Letta etwa als exekutiver Vizepräsident für Wettbewerbsfähigkeit. Darüber hinaus brauche man auch einen Vizepräsidenten für Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit klaren Kompetenzen.

800-Milliardenpaket für die Wirtschaft

Neben dem Corona-Aufbaufonds schlägt Karas ein weiteres, mit 800 Milliarden Euro dotiertes Investitionsprogramm vor. Mittel ließen sich ohne weiteres lukrieren: Bis zu 829 Milliarden Euro jährlich durch Vollendung des Binnenmarktes bei Waren und Dienstleistungen, 470 Milliarden durch die Kapitalmarktunion, 294 Milliarden durch die Energieunion usw.

Karas, der bei zahlreichen Veranstaltungen für die EU-Wahl wirbt, hielt sich über seine persönliche Zukunft bedeckt. Er sei sehr offen, wolle aber „nur Dinge machen, die einen Sinn haben und einen Beitrag leisten.“