Die letzte iranische Rakete war gerade über Israel verglüht, da erklärte Teheran die Konfrontation mit dem jüdischen Staat für beendet. „Die Angelegenheit kann als erledigt betrachtet werden“, teilte die iranische UN-Botschaft rund zwei Stunden nach Beginn des iranischen Großangriffs in der Nacht zum Sonntag mit. Kurz darauf meldete sich Mohammad Bagheri, der Generalstabschef der iranischen Armee, mit einer ähnlichen Botschaft: Weitere Angriffe auf Israel seien nicht geplant. Der Führung in Teheran ist klar, dass es nach dem ersten iranischen Angriff auf Israels Staatsgebiet eine militärische Antwort der Israelis geben wird. Doch das Regime signalisiert, dass es keinen Krieg will.

Insgesamt 300 Geschosse

Mit dem Abschuss von mehr als 300 Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern auf Israel wollte der Iran nach innen wie nach außen militärische Stärke demonstrieren. Auch Verbündete wie die Hisbollah-Miliz im Libanon und die Huthi-Rebellen im Jemen machten mit. Staatsmedien veröffentlichten am Sonntag Fotos und Videos von feiernden Regime-Anhängern im Iran und fahnenschwenkenden Israel-Gegnern im Irak, im Libanon und im Westjordanland. General Hossein Salami, Kommandant der iranischen Revolutionsgarde, lobte den Angriff als „Erfolg, der die Erwartungen übertroffen hat“. Dass es in Israel kaum Schäden und Verletzte gab, erwähnte er nicht.

Teheran reagierte mit dem Beschuss auf einen israelischen Luftangriff auf das iranische Konsulat in Syriens Hauptstadt Damaskus, bei dem Anfang April zwei iranische Generäle getötet wurden. Bei ihrer Antwort verzichtete die iranische Führung auf jeden Überraschungseffekt: Sie kündigte die Vergeltung seit zwei Wochen fast täglich an und entschied sich für die offensichtlichste Option – den Angriff aus der Luft auf israelisches Gebiet. General Bagheri sagte, zu den Zielen des Irans habe die israelische Luftwaffenbasis gehört, von der aus der Angriff in Damaskus gestartet worden sei. Die israelische Flugabwehr und die Verbündeten USA, Großbritannien, Frankreich und Jordanien waren vorbereitet und wehrten den Beschuss fast vollständig ab.

Dennoch sei der Angriff aus der Perspektive des iranischen Regimes eeine „gesichtswahrende Machtdemonstration“ gewesen, sagt Ali Fathollah-Nejad, Gründungsdirektor der Berliner Denkfabrik CMEG. Teheran habe damit auf die wachsende Kritik aus den Reihen seiner regionalen Verbündeten reagiert, sagte Fathollah-Nejad unserer Zeitung: Bisher hatte der Iran eine Konfrontation mit Israel vermieden und dies mit dem Schlagwort „strategische Geduld“ begründet – doch pro-iranische Kämpfer im Irak und in anderen Ländern beklagten, sie müssten den Kopf dafür hinhalten.

Die Art des Angriffs legt nahe, dass Teheran nicht damit rechnete, Israel empfindlich treffen zu können. Der Iran schickte 185 Drohnen, 110 Raketen und 36 Marschflugkörper in Richtung Israel, wie die „New York Times“ unter Berufung auf israelische Quellen meldete. Das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der eingesetzten Waffen relativ billige und langsame Drohnen waren - leichte Beute für die Abfangjäger des Gegners: Die meisten Drohnen seien von israelischen und amerikanischen Kampfjets abgeschossen worden, bevor sie ihre Ziele in Israel erreichten, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf westliche Geheimdienstquellen.

Auch reichte die Gesamtmenge an Drohnen und Raketen bei weitem nicht aus, um die israelische Luftabwehr durch einen Massenangriff zu überfordern. Die iranischen Militärs dürften das gewusst haben, denn die Hisbollah im Libanon stellt die israelischen Abwehrsysteme regelmäßig auf die Probe.

Für Teheran sei aber vor allem der Show-Effekt wichtig, sagt Arash Azizi, Iran-Experte an der Clemons-Universität in den USA. „Das Regime kann sich jetzt zum Sieger ausrufen und sogar Bilder von Raketen über der Al-Aksa-Moschee vorweisen“, sagte Azizi unserer Zeitung; die Moschee im Herzen Jerusalems ist eines der wichtigsten Heiligtümer des Islam. Doch konkret habe die Aktion für den Iran wenig gebracht, meint Azizi. „Es sah inszeniert aus, und womöglich hatten die Iraner den Amerikanern vorher sogar Bescheid gesagt.“

Irans Außenminister Hossein Amirabdollahian bestätigte Azizis Annahme laut Reuters indirekt: Teheran habe den USA vor dem Angriff darüber informiert, dass der Beschuss auf Israel „begrenzt“ ausfallen werde und nur der Selbstverteidigung diene. „Es ist klar, dass der Iran Stärke zeigen und auf den Angriff von Damaskus reagieren wollte, ohne den Konflikt weiter eskalieren zu lassen“, sagte Azizi.

Offen, wie es weitergeht

Ob das gelingt, war am Sonntag offen. Israel erklärte, anders vom Iran erhofft sei die Auseinandersetzung noch nicht zu Ende. Irans Generalstabschef Bagheri antwortete, seine Armee werde einem israelischen Gegenschlag „eine viel größere Reaktion als die von heute Nacht“ entgegensetzen. Teheran warnte die US-Regierung nach den Worten von Bagheri davor, sich an einem israelischen Militärschlag gegen den Iran zu beteiligen. In diesem Fall würden US-Stützpunkte in Nahost unter Beschuss genommen.

Nach dem iranischen Angriff könnten beide Kontrahenten einen Erfolg für sich reklamieren, meint Iran-Experte Fathollah-Nejad. Der Iran könne darauf verweisen, dass er Israel eine Botschaft der Abschreckung geschickt habe, während Israel vermelden könne, dass die meisten iranischen Geschosse abgefangen wurden. „Solch eine Win-Win-Situation könnte eine Deeskalation ermöglichen“, sagte Fathollah-Nejad. Viele Menschen in der Region hoffen das auch.