Das iranische Regime rüstet sich für einen härteren Kampf gegen die landesweiten Demonstrationen. Das zeigen die neuen Hinrichtungen von Demonstranten – 17 Personen wurden mittlerweile zum Tode verurteilt, zuletzt wurden weitere junge Männer erhängt – zugleich wurde ein berüchtigter Hardliner zum neuen Polizeichef des Landes ernannt. Dennoch werden angesichts der anhaltenden Proteste Spannungen in der Führung der Islamischen Republik sichtbar. Zuletzt wurde die Tochter des früheren Präsidenten Rafsanjani wegen "Propaganda" gegen die Islamische Republik und Vergehen gegen die nationale Sicherheit zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Faeseh Hashemi Rafsanjani wurde vorgeworfen, zur Teilnahme an den regierungskritischen Demonstrationen aufgerufen zu haben.

Die iranische Elite ist uneins darüber, wie sie mit den Demonstrationen umgehen soll, die das Land seit dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei im September erschüttern. Revolutionsführer Ali Khamenei will die Proteste niederschlagen lassen und die Iranerinnen zwingen, das Kopftuch zu tragen, aber nicht alle Regimevertreter sind einverstanden. Der prominente Geistliche Ahmad Alamolhoda – der Schwiegervater von Präsident Ebrahim Raisi – sprach sich dagegen aus. Auch Parlamentspräsident Mohammad Baker Kalibaf, ein Ex-Offizier der Revolutionsgarde, kritisierte jetzt das brutale Vorgehen der Polizei gegen Frauen.



Als Stütze des Regimes besitzt die Revolutionsgarde großen Einfluss auf die iranische Politik. Ehemalige Offiziere der Truppe werden Abgeordnete und Minister. Zudem hat die Garde wirtschaftliche Ambitionen entwickelt. Dank ihrer engen Verbindungen zur Staatsführung erhalten Firmen der Garde viele Aufträge im Bau-, Energie-, Nahrungsmittel- und Banken-Sektor.

Bei den derzeitigen Protesten hat die Revolutionsgarde deshalb nicht nur ideologisch, sondern auch wirtschaftlich viel zu verlieren. Dennoch setzt das Regime bisher nicht die Garde, sondern vor allem die Polizei und die Basidsch-Schlägertruppe gegen die Demonstranten ein.

Drei Szenarien

Dass die Revolutionsgarde bis zum bitteren Ende an der Seite des Regimes stehen wird, ist nach Meinung von Iran-Experte Farhang Jahanpour nicht sicher. Er sieht drei Szenarien, in denen die Garde mit einem Putsch nach der Macht greifen könnte: bei einem Kontrollverlust der Regierung unter dem Druck der Proteste; bei unüberbrückbaren Differenzen zwischen führenden Akteuren des Regimes über den Umgang mit den Demonstranten; oder beim Tod des 83-jährigen Revolutionsführers Khamenei während der Protestwelle.

Auch wenn sie streiten, sind sich die Mitglieder der iranischen Führung darüber einig, dass sie die Islamische Republik und damit ihre Macht und Privilegien erhalten wollen. Doch die anhaltenden Proteste verunsichern die Regimevertreter, weil ihnen klar ist, dass die Demonstrantinnen und Demonstranten die Mehrheit der Iraner auf ihrer Seite haben, dass aber der 83-jährige Khamenei keine Kompromisse eingehen will.

Sollten die Proteste weitergehen und der Iran international weiter isoliert werden, dürften sich manche Politiker und Geistliche fragen, ob die starre Haltung des Revolutionsführers ihrem politischen und wirtschaftlichen Wohl dient. Dann könnten Dinge ins Rutschen geraten, die derzeit noch unverrückbar erscheinen.